Tina Wirnsberger war Passagierin im ersten „Train of Hope“, engagiert sich mit Herzblut für Menschen auf der Flucht und ist Initiatorin der Facebook-Plattform „Flüchtlinge – Willkommen in der Steiermark“. Am 9. März 2016 wird sie bei der ersten Veranstaltung der Vortragsreihe FLUCHT.weg.EU zu Besuch sein und an der Podiumsdiskussion teilnehmen. Wir baten sie vorab zum Interview.
Damit Inklusion funktioniert…
Natanja C. PascottiniWie entstand die Idee zu der Plattform „Flüchtlinge – Willkommen in der Steiermark“?
Ich habe in meinem Umfeld und in den sozialen Medien bemerkt, dass immer mehr Menschen unzufrieden waren mit der Richtung, in die sich die Stimmung gegenüber Menschen auf der Flucht beziehungsweise Migrantinnen und Migranten entwickelt. Das war vor allem nach der steirischen Landtagswahl wieder deutlicher spürbar, in der auch Stimmung gegen „Ausländer“ gemacht wurde.
Ich wollte den Leuten helfen, diesen Widerstand für etwas Konstruktives zu nutzen. Genauso hat vor einigen Jahren mein eigenes ehrenamtliches und auch politisches Engagement begonnen. Also hatte ich die Idee, einerseits niederschwellig und gesammelt die Informationen zur Verfügung zu stellen, wo und wie man aktiv werden kann und andererseits auch Berichte über das in den Vordergrund zu stellen, was gut gelingt und so ein Gegengewicht zur medialen Berichterstattung zu bieten.
Der endgültige Anstoß kam, als eine Freundin in Salzburg dieselbe Idee hatte und „Flüchtlinge – Willkommen in Salzburg“ ins Leben rief. Da war klar, genau das mach‘ ich für die Steiermark. Am selben Abend wurde auch noch die Plattform in Wien, Kärnten, Burgenland, Tirol ins Leben gerufen. Ohne Absprache. Und alle waren gleich in den ersten Tagen ein voller Erfolg. Das zeigt, dass der Bedarf sehr groß war.
Was sind drei ausschlaggebende Punkte, warum das Engagement der Zivilbevölkerung so wichtig ist?
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Sie haben viel Menschlichkeit in den Umgang mit Schutzsuchenden gebracht, den die offizielle Hand vermissen lässt.
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Die Zivilgesellschaft ist es, die Integration möglich macht. Um Teil einer Gesellschaft zu sein, muss man daran auch teilhaben können – und zwar auf Augenhöhe. Das gelingt nicht durch achtstündige Wertekurse, sondern durch Begegnungen, Freundschaften und gemeinsames Tun.
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Die politische Komponente halte ich persönlich für sehr wichtig: Zahlreiche Menschen haben ihre Unzufriedenheit mit dem Vorgehen der Regierung dadurch ausgedrückt, dass sie einfach angepackt haben, wo der Staat ausgelassen hat. Sie haben sich organisiert und zu einem gewissen Grad auch professionalisiert, aus dem Tun heraus sind Konzepte und Best Practice-Beispiele entstanden, die etwa Kommunen übernehmen können. Mir ist wichtig, dass die politisch Verantwortlichen erkennen, was für eine Unterstützung sie in ihren engagierten Bürgerinnen und Bürgern haben.
Wie gehen Sie auf Ihrer Plattform mit Hasskommentaren und Hetze um?
Mit dem ersten Zeitungsartikel kam einmal eine Welle solcher Postings. Auch auf Anraten der auf der Plattform aktiven Community hin, habe ich mich entschieden, derartige Kommentare einfach sofort zu löschen und die VerfasserInnen zu blocken. Da ich das von Beginn an getan habe, haben die HassposterInnen wohl zum Glück rasch die Lust verloren. Es gibt hier keine Bühne für sie. Ich habe deshalb kaum Probleme mit Hasskommentaren – weder auf der Seite, noch persönlich. Wenn doch mal etwas kommt, lasse ich es auf rechtliche Relevanz prüfen und bin bereit, gegebenenfalls Schritte einzuleiten. Hetze und Hasspostings im Netz sind kein Kavaliersdelikt.
Was sind kleine Dinge, die jeder von uns in seinen Alltag integrieren kann, um zu helfen, mit dieser Situation als Gesellschaft umzugehen?
Auf einander zugehen – sowohl auf die Menschen, die neu hier ankommen, als auch auf jene, die sich mit der neuen Situation unwohl fühlen und Fragen haben. Ich bin überzeugt, dass wir jetzt mehr denn je den Dialog brauchen. Und dort, wo das nicht möglich ist, wo die Würde anderer Menschen verletzt wird, müssen wir klar und deutlich dagegen aufstehen.
Was sind mögliche Spannungsfelder der Themen Zivilgesellschaft und Ehrenamt?
Die Zivilgesellschaft springt ein, weil der Staat seine Pflichten nicht erfüllt. So beruhigend es ist zu wissen, dass unsere Gesellschaft zusammenhält wenn Hilfe dringend gebraucht wird, so müssen wir aufpassen, dass staatliche Aufgaben nicht einfach abgewälzt werden, weil die Ehrenamtlichen es sowieso erledigen. Unser Ziel muss genau umgekehrt sein: aufzuzeigen, was gebraucht wird und fordern, dass es staatlich und professionell übernommen wird. Ich denke da zum Beispiel an Deutschunterricht. Hier gibt es kein ausreichendes Angebot, aber großen Bedarf, der jetzt ehrenamtlich gedeckt wird. So bleibt es für die AsylwerberInnen aber ein Glücksspiel, ob sie zufällig jemanden im Umfeld haben, die oder der ihnen hilft. Strukturell muss Chancengleichheit und dieselbe Ausgangslage und Qualität hergestellt werden.
Bei einigen Bereichen halte ich es für sehr wichtig, dass sie von professionell ausgebildeten Fachkräften ausgeführt werden.
Welches Erlebnis der letzten Monate ist Ihnen in Erinnerung geblieben?
Es waren so viele prägende Erlebnisse.
Eines ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil es gleichzeitig ein Mosaikteilchen vom Meilenstein im „Sommer des Aufbruchs“ der Zivilgesellschaft war – ohne, dass uns das bewusst gewesen wäre: Die Fahrt mit dem ersten „Train of Hope“ nach Deutschland.
Am 31. August 2015 war ich mit meinem Freund in Wien. Er erhielt einen Anruf: „Da sind hunderte Refugees in einem Zug am Westbahnhof, könnt ihr kommen?“ Wir waren zu dem Zeitpunkt die Einzigen am Bahnhof und sind einfach eingestiegen, mitgefahren und haben via Social Media um Wasser, Essen und Windeln gebeten, die uns dann Grüne in Linz und Salzburg in den Zug gereicht haben.
Wir haben uns auf der Fahrt mit den erschöpften Menschen unterhalten, mit Kindern gespielt, die wenige Tage zuvor noch vor Izmir aus einem Boot ins Wasser springen mussten. Während ich noch froh darüber war, dass sie überlebt haben, zeigte mir ein völlig traumatisierter Vater Videos und Fotos seiner toten Tochter, ermordet bei einem Bombenangriff durch Assad.
In Rosenheim, an der Endstation, dann das schräge Bild: Flüchtlinge warten auf den Stiegen im Bahnhof auf ihre Registrierung. Davor gehen scharenweise herausgeputzte Leute in Dirndl und Lederhosen vorbei. „Schau, sind das Flüchtlinge?“, tuscheln sie – der Anblick erschöpfter Schutzsuchender war zu dem Zeitpunkt noch nicht in unserem Alltag angekommen.
Und dann die Rückkehr in ein binnen Stunden scheinbar völlig verändertes Österreich. Auf den Bahnsteigen in Linz und Salzburg immer noch etliche Menschen mit Einkaufswagen voller Lebensmittel und Babysachen. Ankunft am Westbahnhof, plötzlich hunderte Menschen hier, die alle den Ankommenden helfen wollen. Die ein Zeichen setzen wollen.
„Refugees Welcome! You are safe now!“
Dieser Tag war nur der Beginn einer unfassbaren Bewegung aus der Zivilgesellschaft. Der Dammbruch einer Welle der Hilfsbereitschaft. Ich wünsch mir, dass diese Welle 2016 noch stärker wird – und werde genau dafür mein Bestes geben.
Warum sollte man die Vortragsreihe „Menschen auf der Flucht und Migration“ besuchen?
Wir leben in einer Zeit, in der uns dieses Thema noch viele Jahre beschäftigen wird. Wir können uns aussuchen, wie wir damit umgehen wollen. Für mich ist klar: Die Frage, ob man will, dass Flüchtlinge „zu uns“ kommen, stellt sich nicht. Menschen kommen, weil sie müssen und es ist unsere humanitäre Pflicht, sie aufzunehmen und ihnen ein ordentliches Asylverfahren zu gewährleisten. Ich würde mir wünschen, dass wir uns professionell und konstruktiv damit auseinander setzen, wie wir das Zusammenleben in Zukunft gestalten und was alle Beteiligten brauchen, damit Inklusion gelingt. Wir sollten endlich weg vom Fokus auf die (vermeintlichen) Defizite, hin zu Lösungen. Auch mutiger sein, etwas auszuprobieren.
Die Vortragsreihe deckt die Breite dieser Auseinandersetzung thematisch und auch durch die Auswahl der DiskussionsteilnehmerInnen sehr gut ab.
Vortragsreihe FLUCHT.weg.EU
Mit der Diskussionsreihe „Menschen auf der Flucht und Migration“ wird im Rahmen der FH JOANNEUM ein öffentlich-wissenschaftlicher Diskurs gestartet. Mit den Themen Aufgaben für…
- die Zivilgesellschaft
- soziale Organisationen
- Politik und EU-Politik
- soziale Arbeit
- Wissenschaft
Damit werden besonders relevante Bezugspunkte für ein Verständnis der herausfordernden Situation ausgewählt und zur Diskussion gestellt. Namhafte Expertinnen und Experten skizzieren in ihren einleitenden Vorträgen Eckdaten und Hypothesen. Diese werden bei den anschließenden Podiumsdiskussionen aufgegriffen und vertieft.