Seit Oktober hat joanneum racing graz eine neue Teamleaderin. Zum ersten Mal in der 16-jährigen Teamgeschichte ist es eine Frau, die die Geschicke des studentischen Motorsportvereins lenkt.
Sushama Chander: Die erste Frau an der Spitze von joanneum racing graz
FH JOANNEUM, 17. Januar 2020Wenn man die 26-jährige Sushama Chander sucht, dann ist das “Race Control” – wie die Leitzentrale des studentischen Vereins genannt wird – immer eine gute Anlaufstelle. Und sollte sie dort nicht zu finden sein, dann kann sie eigentlich nur in der Werkstätte am neuesten Boliden feilen. Sushama lebt in diesem Studienjahr für das joanneum racing team, hat sie ja mit Anfang Oktober offiziell das Amt des “Team Captain” übernommen. „Verantwortung zu haben, lernt man oft erst im Berufsleben. Hier habe ich die perfekte Möglichkeit schon vorher zu lernen, mit großer Verantwortung umzugehen“, erklärt die gebürtige Salzburgerin ihre Entscheidung.
Sushama ist die erste weibliche Team-Leiterin in der 16-jährigen Geschichte von joanneum racing graz. Dass mit ihr nun eine Frau an der Spitze eines Vereins in Verbindung mit einem technischen Studiengang steht, ist in zweierlei Hinsicht eine Ausnahme: Zum einen ist sie als Frau in ihrer Fachrichtung in der Minderheit, denn in Österreich schließen jedes Jahr mehr als doppelt so viele Männer ein technisches Studium ab als Frauen. Zum anderen gibt es weiterhin sehr wenige Frauen in Führungspositionen: Von den 200 umsatzstärksten österreichischen Unternehmen 2019 wird gar nur knapp jedes elfte Unternehmen von einer Frau geleitet.
Leidenschaft für das joanneum racing team
joanneum racing graz ist zwar in Verbindung mit dem Institut Fahrzeugtechnik / Automotive Engineering an der FH JOANNEUM, die Arbeit, die Studentinnen und Studenten in das Projekt investieren, ist aber Teil ihrer Freizeit. So sieht es auch Sushama: „Das racing team ist mein Hobby, ich bin sehr gerne hier und lerne wirklich jeden Tag etwas Neues.“
Bereits einen Monat vor offiziellem Studienbeginn startet eine Saison für das racing team. Jedes Jahr muss ein neuer Bolide entworfen und gefertigt werden, mit dem dann an den Bewerben von Formula Student im Sommer teilgenommen werden kann. „Bewerbe sind das absolute Highlight, darauf arbeiten wir zehn Monate hin. Die Atmosphäre ist ein Wahnsinn, jedes Team hat das gleiche Ziel, es ist ganz was Besonderes.“ Und die Ziele für die Bewerbe sind hoch gesteckt. Nach den zwei Overall-Siegen in Ungarn und beim Heimbewerb in Spielberg im Vorjahr, will Sushama heuer mit joanneum racing graz auch in der Weltrangliste einen Platz auf dem Podest.
Schon als Kind für Technik begeistert
Auch wenn Sushama bereits als Kind lieber mit Autos als mit Barbie-Puppen gespielt hat, war die Entscheidung eine HTL zu besuchen, eine eher spontane. „Das war in der Hauptschulzeit, da wusste ich noch nicht so genau, wohin es gehen soll. Aber ich habe es probiert und es hat mich immer mehr begeistert“, erinnert sie sich. Nach vier Jahren an der HTBLuVA Elektrotechnik in Salzburg, arbeitete Sushama als Elektrokonstrukteurin in Deutschland, wo sie erste Kontakte mit der Automobilbranche hatte. „Dort haben wir Anlagen für Unternehmen wie Audi und BMW gebaut und seitdem schlägt mein Herz für die Automobilbranche“, erklärt die 26-Jährige.
Der Traum von der Formel 1
Ihr großer Traum ist es, nach dem abgeschlossenen Master in der Formel 1 zu arbeiten: „Durch das racing team konnte ich auch schon einige Kontakte knüpfen.“ Der Bereich sei ihr eigentlich egal, Suspension und Powertrain finde sie aber besonders spannend. In Sachen Belastbarkeit ist Sushama bereits jetzt bestens für die Arbeitswelt gewappnet: „Zwischen zwölf und vierzehn Stunden dauert mein durchschnittlicher Tag an der FH und das halt nicht fünf, sondern sieben Mal in der Woche.“ Vereinzelt gäbe es dann aber schon einen freien Tag, an dem sie versucht, den Kopf frei zu bekommen.
Den großen Vorteil von Frauen in Führungpositionen sieht “Susi” – wie sie teamintern genannt wird – auf der menschlichen Ebene: „Männer sind vielleicht manchmal etwas zu sehr auf das Ziel verkrampft und vergessen dabei das Rundherum.“ Ihr ist es wichtig, dass die Mitglieder im racing team respektvoll miteinander umgehen. „Wir sitzen alle im gleichen Boot, haben alle nebenbei noch ein Studium laufen – Man muss verstehen, wenn andere Dinge höhere Priorität haben.“ Im racing team gäbe es laut ihr immer etwas zu tun. Deswegen sei es auch wichtig, zu schauen, dass die Mitglieder ihr Studium nicht schleifen lassen.
In Sachen Gleichberechtigung sieht Sushama das racing team als Vorbild auch für internationale Unternehmen. „Wir machen hier keinen Unterschied, ob Mann oder Frau, jeder wird gleich behandelt.“ Auch die Professionalität, die das Team bei den Bewerben an den Tag legt, sieht sie als etwas, das sich auch manche internationalen Unternehmen von dem studentischen Grazer Team abschauen könnten. Die Erfolge feiert Sushama immer im Team, denn sie ist der Meinung: „Eine starke Frau an der Spitze ist nichts ohne ein starkes Team hinter ihr.“
Ein Vorbild für junge Frauen
Ihr Weg soll auch ein Beispiel für andere junge Frauen sein. „Man sollte das machen, was man mit Freude macht“, ist sich Sushama sicher. Und wenn es ein technischer Beruf ist, dann sollten sich junge Frauen von Vorurteilen nicht unterkriegen lassen. „In der Hauptschule haben einige Klassenkameradinnen gesagt, ich würde es nie schaffen in dieser Männerdomäne“, erinnert sich Sushama. Die Skepsis habe sie aber weiter angespornt und heute gibt es ihr gegenüber keine Vorurteile mehr. „Als die anderen erkannt haben, dass ich mit ihnen mithalten kann, hat es eh sofort mit den Vorurteilen aufgehört.“
„Jeder kann alles lernen, man sollte sich niemals von Stolpersteinen unterkriegen lassen“, will Sushama anderen jungen Frauen mit auf den Weg geben. Das deckt sich auch mit dem Motto von joanneum racing graz: Never stop pushing. „Mit Überzeugung und Freude am Fach kann dir niemand was anhaben.“