Etliche Menschen machten sich die Hilfe für Flüchtlinge in den letzten Monaten zur Aufgabe.

Von Nächstenliebe und der Bringschuld des Staates

Natanja C. Pascottini,

Menschen auf der Flucht helfen – das machten sich große Teile der österreichischen Zivilgesellschaft in den letzten Monaten zur Aufgabe. Was passiert, wenn der freiwillige Einsatz zur Verpflichtung wird, welche Unterstützung vom Staat bisher noch ausbleibt und was Nächstenliebe langfristig bewirkt, wurde an der FH JOANNEUM im Rahmen der Vortragsreihe FLUCHT.weg.EU diskutiert.

Bilder, die aus dem Vorjahr in Erinnerung sind: auf der einen Seite erschöpfte Menschen auf der Flucht durch Europa, zu Fuß auf Autobahnen, Grenzübergängen und Bahnhöfen. Andererseits Bilder von Menschen, die sich privat engagieren, Wasser und Bedarfsgüter wie Windeln, Toilettenartikel, Kleidung und dergleichen zur Verfügung stellen. Nicht nur das: Die eigene Freizeit wird genutzt, um aktiv in den Versorgungsstätten in Österreich beim Vorbereiten, Kochen und Verteilen von Essen, bei der Zuteilung zu Schlafplätzen und bei einem menschlichen Umgang in dieser Ausnahmesituation mitzuwirken. Die Zivilgesellschaft ist aktiv geworden.

Ehrenamtliche und freie MitarbeiterInnen unterstützen bei der Existenzsicherung – wie bei Fragen zu Wohnung und Grundbedürfnisse –, bei der Beratung in Alltagsfragen und bei der Beziehungsarbeit. Ein wichtiges Ziel ist die Normalisierung des Alltags für alle Menschen, die im Umfeld wohnen: nicht nur für jene, die neu dazugekommen sind, sondern auch für jene, die schon länger hier leben.

In seiner Keynote während der ersten Veranstaltung der Vortragsreihe FLUCHT.weg.EU stellte Klaus Posch, ehemaliger, langjähriger Leiter des August-Aichhorn-Instituts für Soziale Arbeit, die Frage: „Wie können die vier großen Bereiche in der Gesellschaft, nämlich die primären Netze wie Familie, der Staat, die Zivilgesellschaft und der Markt kooperieren, obwohl ihre Funktionslogiken und Werte unterschiedlich sind?“ Es ginge darum, ein Leben ohne Angst zu sichern und mithilfe von sozialen Einrichtungen und der Zivilgesellschaft dazu beizutragen, das Risiko und die Verletzbarkeit zu reduzieren. „Der Staat hat den Rahmen für die rechtliche Anerkennung von Ehrenamt zu schaffen. Er hat dabei auch eine Verantwortung hinsichtlich Qualität und bezüglich dem optimalen Einsatz von Ressourcen. Ehrenamtliche Aufgaben sind in Bezug auf Spesen und Aufwandsentschädigung zu budgetieren und nicht primär über Spenden zu finanzieren“, fordert Klaus Posch in seinem Vortrag.

Ein Balanceakt

Sich auf eine helfende Beziehung einzulassen, Unterstützung und Halt zu geben, Durchhaltevermögen zu zeigen und neben Toleranz und Empathie auch die Fähigkeit zu Konfrontation und Intervention zu haben sind Basiskompetenzen für ehrenamtliche MitarbeiterInnen. Um diesen fordernden Balanceakt zu meistern, wäre es wichtig, freie und ehrenamtliche MitarbeiterInnen gut auszuwählen, sie einzuschulen, sie zu begleiten, zu unterstützen und zu kontrollieren. Des Weiteren müsste man ihnen Teams und Teambesprechungen anbieten, sie mit Fachleuten wie SozialarbeiterInnen, Psychotherapeutinnen, Psychotherapeuten, Juristinnen und Juristen verbinden und ihnen Versicherungsschutz gewährleisten wie auch eine Aufwandsentschädigung, wie beispielsweise Benzingeld.

"Migrantinnen, Migranten und Menschen auf der Flucht sind ein Schatz für unsere Gesellschaft, da wir damit die Globalisierungsdynamik in eine humanistische Richtung lenken können", so Klaus Posch weiter in seinem Vortrag. Er schloss optimistisch: „Wir haben viele Möglichkeiten diese Aufgabe zu lösen und ich bin überzeugt, dass dies gelingen kann."

TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion waren David Kreisl, Doro Blancke, Klaus Posch, Moderator Thomas Wolkinger, Tina Wirnsberger und Benjamin Gürtl.
Foto: © Brian Luque Marcos
TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion: David Kreisl, Doro Blancke, Klaus Posch, Moderator Thomas Wolkinger, Tina Wirnsberger und Benjamin Gürtl.

Ein Kraftakt

In der Podiumsdiskussion mit drei besonderen Initiativen und einem Vertreter des „Roten Kreuz“ wurde das Thema „Zivilgesellschaft und Ehrenamt“ besprochen. Eine Zusammenfassung:

„Zu Beginn war mein Einsatz freiwillig, dann bekam ich einen gewissen Überblick und dabei entstand eine Verantwortung und Verpflichtung, dabei zu bleiben. Ich arbeite dabei nicht nur für die Flüchtlinge, sondern für die Gesellschaft´.“

Doro Blancke, Verein „Gib mir deine Hand“

„Jeder Tag war neu. In Spitzentagen haben wir vier Tonnen Essen in 24 Stunden gekocht. Die staatliche Anerkennung ist bisher ausgeblieben.“

David Kreisl, Verein „TWO – The Welcoming Organisation“

„Der Staat kann auf eine unterstützende Zivilgesellschaft zugreifen.“

Benjamin Gürtl, freiwillger Helfer „Rotes Kreuz“

„Es zählen neue Lösungen, um den Herausforderungen zu begegnen.“

Tina Wirnsberger, Gründerin der Facebook-Plattform „Flüchtlinge – Willkommen in der Steiermark“

„Es ist wichtig, finanzielle Hilfe für das Ehrenamt einzufordern – wie beispielsweise eine Refundierung der Kosten seitens der Zivilgesellschaft vom Staat.“

Klaus Posch, ehemaliger Leiter des August-Aichhorn-Instituts für Soziale Arbeit an der FH JOANNEUM

„Es wäre bereits ein großer Schritt, wenn es möglich wäre, für ehrenamtlich geleistete Arbeit eine offizielle Bestätigung für den Lebenslauf zu erhalten.“

Tina Wirnsberger

Für die Expertinnen und Experten bestand ein klarer Konsens darin, dass zu klären ist, welche Organisation wofür zuständig ist und wie die Kommunikation zwischen den Organisationen zu verbessern sei: Was könnte Weiterbildung dabei bewirken? Und wer ist bereit, Verantwortung zu übernehmen? Wenn es gelingt, sich zusammenzuschließen und ein Betreuungsnetz aufzubauen, besteht eine große Zuversicht, dass eine lokale und internationale Integrations- und Inklusionsarbeit geleistet werden kann.

„Es geht darum, schnell zu sein, nicht so lange zu warten. Es geht um unsere Nachbarn, unser Gewissen, unser Zusammenleben und nicht nur um Geld. Es geht um Würde, wir sollten ein Vorbild für unsere Kinder sein. Und wir sollten Verantwortung übernehmen, da es unser Land ist und unsere Gesellschaft."

Doro Blancke
Tipp:

Die nächste Veranstaltung der Vortragsreihe FLUCHT.weg.EU findet am 13. April 2016 um 18 Uhr im Audimax an der FH JOANNEUM Graz statt und beschäftigt sich mit dem Thema Migration und Organisation – NGOs/SPOs. Weitere Termine: 11. Mai 2016: Migration und Politik – Innen- und EU-Politik; 8. Juni 2016: Migration und Wissenschaft – Sozialpädagogik & Soziale Arbeit.