Thomas Meiers Master-Thesis zum Thema „Katastrophenkommunikation in der digitalen Welt“ erfährt österreichweit Anerkennung. Wir haben mit dem „Public Communication“-Absolventen über die Ergebnisse seiner Arbeit gesprochen.
Krisenkommunikation und Social Media: „Die Vernetzung von vielen Einzelnen ist Teil einer neuen, aber realen Lebenswelt.“
Eva-Maria Kienzl & Natanja C. Pascottini, 23. November 2016In Ihrer Master-Arbeit haben Sie sich mit Krisenkommunikation befasst. Was waren für Sie die interessantesten Ergebnisse?
Thomas Meier: Grundsätzlich ging es mir darum aufzuzeigen, dass Social Media in der behördlichen wie zivilen Katastrophenkommunikation einen immer größer werdenden Stellenwert erfahren, wie dies viele Beispiele in Europa und aus Übersee auch eindeutig belegen. Die Vernetzung von vielen ist Teil einer neuen, aber realen Lebenswelt. Also Grund genug und vor allem Zeit dafür, eine Lücke in der Katastrophenkommunikation von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben – kurz BOS – in der Steiermark zu schließen.
Interessante Erkenntnisse haben vor allem die Befragungen von Entscheidungsträgern und Schlüsselkommunikatorinnen und -kommunikatoren im Bereich der BOS zu Tage gebracht. So erkennen die Befragten beispielsweise uneingeschränkt an, dass die Werkzeuge des Social Web de facto ebenbürtige Kommunikationskanäle sind, denen man sich als BOS keinesfalls länger mehr verschließen dürfe. Konkret wird dabei auch die Unentbehrlichkeit von Social Media – im Sinne einer „Conditio sine qua non“ – in der Katastrophenkommunikation genannt.
Ein weiteres – und für mich durchaus überraschendes Ergebnis – war, dass die Mehrheit der Befragten einen Paradigmenwechsel in der Kommunikationshoheit im Bereich der Katastrophenkommunikation eingefordert haben. Sprich, ein Abrücken vom behördlichen „Informationsmonopol“, hin zu einem moderateren Ansatz. Das bedeutet, dass in einer Ausnahmesituation (Unwetter, Massenunfall etc.) die jeweils einsatzführende Organisation federführend kommuniziert und sich alle anderen (B)OS an diese Kommunikation anschließen, sprich deren Inhalte mittragen beziehungsweise teilen. Davon ausgenommen blieben nur jene Belange, die ausschließlich der behördlichen Autorität (z.B. Evakuierungsmaßnahmen etc.) unterliegen.
Eine weitere Erkenntnis war, dass sich BOS übereinstimmend auf Facebook und Twitter als Kommunikationskanäle zur Informationsverbreitung im Social Web verständigen.
Als klare Schlussfolgerung dieser Arbeit habe ich, im Sinne einer strategischen Zielsetzung, die Entwicklung beziehungsweise den Aufbau einer interaktiven Bevölkerungsschutzplattform mit Applikationen für mobile Endgeräte empfohlen.
Überall ist in den Medien von Krisen zu lesen: Aber was ist laut Ihrer Definition eine Krise?
Thomas Meier: „Krise“ ist ein Begriff, der im Alltag eigentlich sehr inflationär eingesetzt wird. Denken wir an Themen wie Flüchtlingskrise, Bildungskrise, Bankenkrise, Zinsenkrise, Glaubenskrise, Ehekrise und vieles an „Krisenbegebenheiten“ mehr. Auch die einschlägige Fachliteratur belegt im Prinzip keine allgemeingültige Definition zum Terminus „Krise“. Im Gegenteil: In der Literatur finden sich jede Menge Zugänge zu und Definitionen von Krisen, die von den Autorinnen und Autoren mitunter auch recht kontroversiell diskutiert werden. Die Bandbreite reicht dabei von der „Ausnahmesituation“ über eine „schwierige Lage, Situation oder Zeit“, eine „Fehlentwicklung“, ein „überraschendes Geschehnis“, ein „drohender Reputationsverlust“ bis hin zum „Wendepunkt einer gefährlichen Lage beziehungsweise Entwicklung“, um nur einen kleinen Auszug anzuführen.
Persönlich definiere ich Krisen als außergewöhnliche Ereignisse. Mit dieser Auslegung lehne ich mich an den Soziologen Manfred Prisching an, der im Zusammenhang mit Krisen unter anderem von Ausnahmensituationen spricht. Und: dass dabei bei Menschen eine komplexe Erwartungshaltung gegenüber Eliten in der Organisationskommunikation besteht.
Kann man Krisen Ihrer Einschätzung nach vorzeitig erkennen und abwenden?
Thomas Meier: Öffentliche Empörung gibt es in Zeiten wie diesen zuhauf. Diese verbreitet sich in sozialen Netzwerken rasend schnell. Ehe man es sich versieht, kann man zur Zielscheibe von „öffentlicher“ Kritik werden. Ergo dessen sollte bereits in „Friedenszeiten“ das bewusste Auseinandersetzen mit möglichen Krisenpotenzialen im Risikomanagement eigentlich keine neue oder überraschende Erkenntnis darstellen. Also ja, durchaus ist es möglich, Krisensituationen frühzeitig zu erkennen und mit entsprechenden Maßnahmen darauf zu reagieren.
Welche drei Tipps können Sie Organisationen und einzelnen Personen in krisenhaften Situationen geben?
Thomas Meier: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Und zwar so schnell, so transparent und so wahr wie möglich. Denn: Ein sehr wichtiger Punkt in Ausnahmesituationen, um nicht zu sagen der wichtigste Punkt, ist darauf zu achten, als Organisation beziehungsweise Unternehmen die Informationshoheit zu behalten, gegebenenfalls schnellstmöglich wieder zurück zu erlangen.
Um dies zu bewerkstelligen, bedarf es mehrerer Faktoren. Dies fängt damit an, sich zunächst einen Überblick über die Situation zu verschaffen, ehe dann zeitnah, einfach, klar, empathisch, informiert, strukturiert, offen, seriös und lösungsorientiert, auch mit der notwendigen Kompetenz ausgestattet, kommuniziert wird.
Wie verändert sich die Krisenkommunikation von Unternehmen durch soziale Medien?
Thomas Meier: Social Media ist Mainstream, wo es grundsätzlich um Partizipation und Interaktion geht. Menschen „googeln, up- und downloaden, bloggen, chatten, adden, liken“ und „sharen“, um nur eine Auswahl dieser besonderen Spezifika des Social Web aufzuzeigen. Bekanntermaßen findet im „vormedialen Raum“ viel an emotionaler Aufladung von Themen oder gar Skandalisierung statt, deren Inhalte sich dann teils wie Lauffeuer verbreiten. Ob sich nun durch das Vorhandensein sozialer Medien eine grundsätzliche Veränderung aufgetan hat, daran scheiden sich die Geister. Jedenfalls aber eine Erweiterung im Portfolio zu beobachtender Kanäle. Auf der Hand liegt ebenso, dass sich durch das Social Web bestimmte Faktoren beziehungsweise Prozesse deutlich beschleunigt haben. Social Media kennen weder Zeit noch Wochentag. Schon gar kein Wochenende oder einen Urlaub. Für das Krisen- oder Reputationsmanagement bedeutet dies in erster Linie eine Ausweitung von zu beobachtenden und zu integrierenden Kanälen. Sprich, ein intensives Monitoring von Onlinemedien und Social Media Kanälen. Hinzu kommt ein hohes Maß an persönlichem Engagement von den kommunikativ verantwortlich handelnden Personen.
Brennende Fabriken, Autounfälle etc. sind oft in sozialen Medien bevor die Einsatzorganisationen informiert werden.
Thomas Meier: Nicht selten ist es in Ausnahmesituationen der Fall, dass die „Öffentlichkeit“ über wesentlich mehr Informationen, beispielsweise durch Fotos etc., verfügen, als dies für BOS in der Erstphase eines Ereignisses der Fall ist. Dieses Phänomen, dass Posts über diverse Unglücksfälle im Social Web auftauchen, noch ehe Einsatzkräfte vor Ort sind, ist im Zeitalter der „Echtzeitkommunikation“ leider nicht mehr von der Hand zu weisen – auch wenn die Notrufabsetzung mehrheitlich immer noch an erster Stelle steht.
Fakt ist, dass nahezu jedes, (noch so) private Ereignis, mit der Welt im Social Web geteilt wird. Je schneller im Netz, desto besser. Es wird daher in diesem Prozess – und das betrifft nicht nur die Steiermark, sondern auch den gesamteuropäischen Raum ¬ noch viel Weitsicht und flexibles Handeln gebraucht werden, um die digitale Welt, Stichwort Monitoring oder In-App-Alarmierung der Einsatzkräfte etc., wirklich real werden lassen zu können.