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Wöchentlicher Börsenbrief #64

ibv@fh-joanneum.at
Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1

Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

Zwischen Tradition und Innovation: Warum europäische Unternehmen an der Börse hinterherhinken

Die Aktienmärkte notieren nahe ihren Allzeithochs. Der Sommer an der Börse geht munter weiter. Jerome Powell, Präsident der amerikanischen Federal Reserve, hat in Jackson Hole die Märkte bereits auf eine Zinssenkung vorbereitet, und der US-Wahlkampf geht in die entscheidenden Wochen. 2024 ist bisher ein gutes Jahr für Aktien, für US-Aktien sogar ein sehr gutes Jahr. Auch in diesem Jahr konnte der amerikanische Leitindex S&P 500 seine europäischen Pendants wie den DAX oder den STOXX Europe 600 deutlich outperformen. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die Performance der Tech-Giganten. Besonders sticht hier der „Rising-Star“ Nvidia hervor. Der KI-Superstar trägt zu mehr als einem Drittel der Gesamtperformance des Nasdaq-100 bei. Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob Powells Rede in Jackson Hole oder die Veröffentlichung des Quartalsergebnisses von Nvidia mehr Einfluss auf die Finanzmärkte hatte. Aber lassen wir das und kommen wir zum Quartalsergebnis von Nvidia.

 

Die am Mittwoch nach Börsenschluss veröffentlichten Quartalszahlen von Nvidia können sich sehen lassen. Aufgrund des anhaltenden KI-Booms konnte der Chiphersteller sowohl den Umsatz als auch den Gewinn verdoppeln und damit das fünfte Quartal in Folge prozentual dreistellig wachsen. Spannend ist jedoch, dass trotz dieser hervorragenden Zahlen der Aktienkurs nachbörslich um 8 % eingebrochen ist und das Unternehmen damit fast 250 Milliarden US-Dollar an Börsenwert verloren hat. Der Grund für den Einbruch kann nicht an den Zahlen liegen, sondern hängt mit der skeptischen Erwartungshaltung vieler Investor:innen zusammen, ob der Aktienkurs aufgrund der ambitionierten Bewertung noch viel Potenzial hat. Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht.

 

Heute Morgen habe ich mir die Frage gestellt, warum US-Unternehmen im Vergleich zu europäischen Unternehmen so viel besser abschneiden. US-Aktien sind vergleichbar mit meinem Espresso: kraftvoll, stark und sehr energiegeladen. Im Vergleich dazu erscheinen mir europäische Titel nicht so dynamisch, zumindest wenn man die Börsenkurse als Referenzparameter heranzieht. Auf 3-Jahressicht sind die Kurse der S&P 500-Unternehmen um mehr als 30 % gestiegen. Im Vergleich dazu hinkt der STOXX Europe 600 mit einer Performance von etwas mehr als 20 % deutlich hinterher. Im Zuge meiner Recherche habe ich mich mit den Geschäftsfeldern der Unternehmen auseinandergesetzt. Interessant finde ich, dass US-Unternehmen bei allen neun Globalance Megatrend-Themen die Nase vorn haben. Dazu gehören Digitalisierung, Gesundheit und Alter, Klima und Energie, Ressourcenknappheit, Urbanisierung, Automatisierung, neue Mobilität, Konsumgesellschaft und Wissensgesellschaft. 56 % der europäischen Unternehmen im STOXX Europe 600 fokussieren sich auf ein Megatrend-Thema. Mit einem Anteil von 20 % führt der Bereich Gesundheit und Alter, gefolgt von Digitalisierung mit 14 % und Konsumgesellschaft mit 11 %. Im Vergleich dazu setzen 72 % der S&P 500-Unternehmen auf Megatrends. Mit 46 % liegt das Themenfeld Digitalisierung in Front. Dahinter folgen Wissensgesellschaft mit 24 % und Gesundheit und Alter mit 21 %.

 

Wenn ich so darüber nachdenke, steht Europa für mich für Tradition, Werte und Beständigkeit und die USA für Innovation, Fortschritt und Veränderung. Das mag auch einer der Gründe sein, warum europäische Unternehmen in einer Zeit eines gigantischen Transformationsprozesses gefühlt nicht mit amerikanischen Unternehmen mithalten können. Europas Chance ist es, beide Strömungen miteinander zu verbinden. Einerseits gilt es, Tradition, Werte und Beständigkeit zu bewahren und andererseits einen aktiven Veränderungsprozess zu gestalten und den Fokus auf die Brennpunktthemen unserer Zeit zu legen. Um das zu erreichen, müssen wir offen sein und bei der Bewertung neuer Themenfelder nicht nur das Risiko, sondern auch die damit verbundenen Chancen in den Blick nehmen. Das ist ein radikaler Wechsel im Mindset, der uns aber guttun würde.

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