Knapp 25 Jahre nach der digitalen Revolution stecken wir inmitten der nächsten Phase, der digitalen Transformation. Das Web harrt ob seiner vielfältigen Ausgestaltung. Medien und Kommunikation stehen im Fokus dieser gesellschaftlich und technologisch spannenden Entwicklung. Eine Bestandsaufnahme anhand von sechs Irrtümern und Prognosen.
Medien NEU denken
FH JOANNEUM, 10. März 2019IRRTUM Nr. 1: Print stirbt (nicht)
Einer der meistverbreiteten Irrtümer ist, dass wir es in Zukunft ausschließlich mit digitalen Medien zu tun haben werden. Genau das wird nicht der Fall sein. Print nimmt im breiten Medienspektrum eine wichtige Position ein. Haptische Produkte haben im medialen Portfolio einen Fixplatz. Sie sind beständig, entschleunigend und gerade deswegen attraktiv. Ein althergebrachtes Segment von Traditionsmedien wird es mittelfristig allerdings nicht mehr geben: die Tageszeitung. Gedruckte tagesaktuelle Medien sind der hohen Kommunikationsgeschwindigkeit und der veränderten Mediennutzung nicht gewachsen.
IRRTUM Nr. 2: Eine Welt ohne „Fake News“
Eine Welt ohne Lügen, Falschmeldungen und Meinungsmanipulation hat es nie gegeben. Naiv zu glauben, „Fake News“ ließen sich ausrotten. Man kann und muss dagegen ankämpfen. Gelegentlich wird man in diesem redlichen Bemühen vielleicht sogar den einen oder anderen Erfolg erzielen. Aber ge- oder verfälschte Informationen gänzlich aus dem kontinuierlichen Kommunikationsfluss verbannen zu können, ist illusorisch. Vielmehr werden sowohl Quantität als auch Qualität gezielt lancierter (Falsch-)Informationen signifikant steigen. Dass ganze Demokratien durch die Seuche „Fake News“ ins Wanken gebracht werden, ist unwahrscheinlich. Gesellschaftliche Vertrauenskrisen und Instabilitäten werden dadurch aber sicher gefördert.
IRRTUM Nr. 3: Irgendjemand wartet auf irgendetwas
Die Medien- und Kommunikationswelt ist prall gefüllt mit großartigen Stories, sensationellen News und spektakulären Bildern. In diesem gigantischen Hyper-Super-Markt der Fakten, Emotionen und Erregungen kann man sich pausenlos bedienen – es ist ein endloses Kontinuum von gleichermaßen irrwitzigen wie faszinierenden Inhalten. In diesem lautstarken Ambiente als Medienproduzentin, Kreativer, Journalistin oder PR-Beauftragter zu meinen, „irgendjemand da draußen wartet auf irgendetwas von mir“, wäre eine fatale Fehleinschätzung der Situation. Man muss verdammt gut sein, sich auf dem plärrenden Marktplatz der Sensationen, Geschichten und blinkenden „Breaking News“ durchzusetzen. So unberechenbar Öffentlichkeit geworden ist, so sicher ist eines: Die Aufmerksamkeitsspanne der Medienkonsumenten sinkt weiter.
Das Smartphone spielt in der Alltagskommunikation sowie im täglichen Nachrichtenkonsum vieler Menschen eine bedeutende Rolle.
PROGNOSE Nr. 4: Alles bleibt (nicht) besser
In den schönsten Farben sind sie gemalt worden, die Möglichkeiten, Chancen und Optionen für Journalismus und Kommunikation im digitalen Zeitalter. Neue Formen des Gestaltens und Produzierens, des Erreichens von Konsumenten und Usern würden jenen, die sich tagtäglich im expansiven Mediendschungel tummeln, zur Verfügung stehen. Einiges ist Realität geworden. Viel mehr an verheißungsvollen Prophezeiungen hat sich aber im digitalen Universum marginalisiert. Was sämtliche Sensoren ausschlagen lassen sollte: Die Leitlinien in Richtung Zukunft gibt eine Handvoll globaler Megakonzerne vor. Und wir? Wir reagieren statt agieren. Höchste Zeit, das Ruder herumzureißen.
PROGNOSE Nr. 5: Noch viel mehr Bilder
Wir leben in einem visuellen Zeitalter. Doch nicht genug damit. Noch viel mehr Bilder werden auf uns zukommen. Bilder aller Art: Digitale Schnappschüsse und spontan Festgehaltenes aus Millionen Smartphones, Fotos aus professionellen Kameras, Videos, Grafiken und Illustrationen. Einen Hype werden Bewegtbilder in Form von Animationen in Social Media erfahren. Im Journalismus wird es kaum eine Story geben, die nicht multimedial aufbereitet wird. Die Visualisierung im großen Stil gesammelter Daten wird eines der großen Themen für Webdesigner und Infografiker. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass schon bald 80 Prozent des gesamten Datenverkehrs im Internet aus visuellen Inhalten bestehen wird. Der viel zitierte „Visual Turn“ der Gesellschaft – die noch stärkere Hinwendung zum Bildhaften – ist damit längst vollzogen. Ein weiteres Mal wird sich unser Medien- und Kommunikationsverhalten entscheidend ändern.
PROGNOSE Nr. 6: Die Wirklichkeit ist die neue Fiktion – die Fiktion die neue Wirklichkeit
Kaum etwas beschäftigt Journalismus mehr als der Versuch des objektiven Erfassens von „Wirklichkeit“ (manche versteigen sich in der Begrifflichkeit zur nicht erreichbaren Kategorie „Wahrheit“). Im gleichen Moment unterliegen wir der Kraft hundert- und tausendfacher Inszenierungen. Täglich nehmen sie unsere Aufmerksamkeit gefangen: Erhöhungen und Übersteigerungen des Realen. Aus Pseudo-Ereignissen wird angeblich Großes, aus Nicht-Ereignissen scheinbar Wesentliches. Alle tun es: Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur. Wirklichkeit wird konstruiert, allerorts, jederzeit. Die Synthese aus dem, was ist, und dem, was daraus gemacht wird, ist unaufhaltsam, weil mittlerweile gleichsam zur Methode geworden. Und was machen wir daraus? Uns gefällt‘s. Vielleicht wollen wir mit der eigentlichen Wirklichkeit auch gar nicht konfrontiert werden.
Wie virtuell wird die Realität der Zukunft? Auch mit dieser Frage beschäftigt man sich am Institut Journalismus und Public Relations (PR).