Studiengangsleiter Wolfgang Granigg hat für das Stadtistik-Buch Graz ein Interview gegeben, in welchem er über Ausbildung, Bildung sowie die Digitalisierung in diesen Bereichen spricht. Das Interview können Sie hier nachlesen.
Bildung gestalten: Wolfgang Granigg im Interview mit dem Stadtistik-Buch Graz
Jasmin Hebenstreit, 27. September 2021Stadtistik-Buch Graz: Wolfgang Granigg, Sie haben eine breite sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung. Mit vier abgeschlossenen Magisterstudien und zwei Doktoraten in den Fachbereichen Betriebswirtschaft und Mathematik, haben Sie Bildung beziehungsweise Hochschulbildung hautnah miterlebt. Jetzt gestalten Sie Bildung – als Studiengangsleiter für die Masterstudien „Global Strategic Management“ und „Data and Information Science“ sowie als Universitätslektor am Institut für Systemwissenschaften, Innovations- & Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz im Fachbereich Systemwissenschaften – selbst mit.
Was sind für Sie die aktuell größten Herausforderungen in Zusammenhang mit Bildung und Ausbildung?
Konkret ist die aktuelle COVID-19-Situation definitiv die größte Herausforderung für den Bildungsbereich. Die Bildungsanbieter mussten in relativ kurzer Zeit auf rein digitale Lehre umstellen – was aus meiner Sicht durchwegs sehr gut geklappt hat; insbesondere auch an der FH JOANNEUM. Ungeachtet dessen ist natürlich der physische face-to-face Kontakt niemals ganz zu ersetzen, sodass wir uns natürlich auf eine möglichst baldige graduelle Rückkehr zu klassischen Lehr- und Lernsettings schon sehr freuen. In Summe hat die COVID-19-Situation – bei allen katastrophalen Auswirkungen in anderen Bereichen – aber sicherlich die Digitalisierung der Lehre beflügelt.
Genereller betrachtet gibt es mittlerweile sehr viele Bildungsanbieter sowie Bildungs- und Ausbildungsangebote. Dadurch kann es für Interessentinnen und Interessenten schwierig sein, den Überblick zu behalten beziehungsweise sich für ein bestimmtes Angebot zu entscheiden. Herausfordernd ist auch die Tatsache, dass es zu einer immer stärkeren Globalisierung der Bildung kommt – die örtliche Distanz zwischen Studierenden und Bildungsanbietern wird durch die digitale Lehre reduziert. Diese Entwicklung, sowie der wachsende Trend hin zu Mikroabschlüssen und sogenannten MOOCs – Massive Open Online Courses, stellt klassische Bildungsanbieter vor neue Herausforderungen.
Als Studiengangsleiter von zwei Masterstudiengängen beobachte ich zudem, dass im Masterbereich Vollzeitstudierende immer seltener werden, da viele Masterstudierende oft durchgängig neben dem Studium arbeiten. Job, Familie und Studium unter einen Hut zu bringen stellt oft eine große Herausforderung dar.
Wie steht für Sie der Bildungs- und Ausbildungsstandort Graz im internationalen Vergleich da?
In der Steiermark gibt es einen starken Industriecluster mit einem hohen Bedarf an technisch ausgebildeten Arbeitskräften. Graz ist eine sehr lebenswerte und lebendige Universitätsstadt mit mediterranem Flair. Es gibt viele internationale Studierende und überall spürt man Multikulturalität und regen Austausch. An den zahlreichen Hochschulen werden interessante, neue Studienrichtungen angeboten, welche die aktuellen Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft abdecken. An der FH JOANNEUM sind das beispielsweise der duale Bachelorstudiengang „Mobile Software Development“ oder der berufsermöglichende Masterstudiengang „Data and Information Science“.
Was sind dessen Stärken, welche Schwächen sehen Sie?
Für die Steiermark und Graz sprechen die hohe Lebensqualität, interessante Jobmöglichkeiten, gute Ausbildungsangebote und generell ein großes Potenzial für die Zukunft. Wir haben hervorragende Hochschulen und so finden Studieninteressierte hochaktuelle Studienprogramme, die sich an internationalen Standards orientieren, sozusagen vor der Haustüre. Die Steiermark ist zudem zentral in Europa gelegen, das erleichtert eine gute internationale Vernetzung der Hochschulen und macht den Standort interessant für Studierende aus anderen Ländern. Aber auch für Studierende, die es ins Ausland zieht, gibt es viele Möglichkeiten um internationale Luft zu schnuppern. Ein weiterer Pluspunkt ist die gute Start-up-Szene im Land – diese bringt innovative Chancen für Studierende, die eine Firma gründen beziehungsweise bei einem Start-up arbeiten möchten.
Es kann als Schwäche gesehen werden, dass als Studiensprache häufig nur Deutsch angeboten wird, denn dies erschwert die internationale Anbindung sowie den Zugang für internationale Studierende. Um diese sprachliche Barriere zu überwinden gibt es allerdings mittlerweile auch ein englischsprachiges Studienangebot, zum Beispiel die Masterstudiengänge „Luftfahrt / Aviation“ und „Global Strategic Management“ an der FH JOANNEUM.
Wie muss Bildung- und Ausbildung ausgerichtet sein um den aktuellen Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden?
Meiner Meinung nach bedarf es einer laufenden Weiterentwicklung der Bildungsangebote, diese müssen immer am Zahn der Zeit sein. Das bedeutet auch eine ständige Bringschuld der Bildungsanbieter, die flexibel und praxisorientiert handeln und nicht an alten Ideen und Lehrkonzepten festhalten sollten. Neue Lehr- und Lernformate sollten durchgängig eingesetzt werden. Flexibilisierung ist auch hinsichtlich der Curricula gefordert, im Rahmen derer auch zusätzlich Wahlfächer und Spezialisierungsmöglichkeiten angeboten werden sollten.
Wie hoch ist der „angewandte“ Teil im Zusammenhang mit Ihren „applied studies“?
Dieser Anteil ist hoch – wir setzen dabei auch sehr stark auf Kooperationen mit Unternehmen aus der Praxis. Wir haben Lehrende, die Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Industrie, Technologie und so weiter sind. Hauptberufliche Lehrende bleiben durch angewandte Forschungsprojekte mit Unternehmen „up-to-date“, was die Anforderungen aus der Praxis betrifft. Die praktische Anwendbarkeit der Lehrinhalte ist ein Leitsatz an der FH JOANNEUM. Unsere Studierenden absolvieren während der Bachelorstudien Praktika und lernen unter anderem auch in interessanten Exkursionen die Arbeitswelt kennen.
Können Sie uns ein praktisches Beispiel dazu nennen?
Wir bieten unseren Studierenden nach Möglichkeit Projektarbeiten mit Unternehmen an. Derzeit haben wir beispielsweise am Studiengang „Data and Information Science“ ein mit künstlicher Intelligenz gestütztes „Health & Safety“-Projekt gemeinsam mit einem großen Konzern, in welchem wir an neuen Erkenntnissen für die Unfallvermeidung in der Industrie forschen.
Für unsere Studierenden das Studiengangs „Global Strategic Management“ gibt es sogenannte „Company Dialogues“ sowie Besuche bei Key-Playern aus der Wirtschaft. Des Weiteren entstehen nicht zuletzt viele Masterarbeiten in Kooperation mit Firmen.
Wieviel Weitblick, Flexibilität und Voraussicht sind nötig, um auch in Zukunft gut ausgebildete Absolventinnen und Absolventen als Fachkräfte in die Berufswelt entlassen zu können?
Was die Flexibilität bei den Curricula, konkret bei Wahlfächern und Spezialisierungsmöglichkeiten, angeht, so ist eine rasche und unbürokratische Adaption der Studienpläne gefragt, um auf neue Entwicklungen reagieren zu können. Bildungseinrichtungen sollten meiner Meinung nach darauf achten, die Studienrichtungen laufend zu modernisieren und sich am direkten Bedarf der Industrie und Wirtschaft zu orientieren.
Wie stark hat sich Lehre durch die Digitalisierung verändert?
Die Lehre hat sich in den letzten Monaten stark verändert, da aufgrund von COVID-19 beinahe vollständig auf Distance Learning umgestellt wurde. Aktuell kommt es bei uns zu einem breiten Einsatz von verschiedenster Software für Videokonferenzen, Planungstools bis hin zu E-Learning-Plattformen, was durch unsere gute IT-Infrastruktur möglich gemacht wird. Durch diesen Digitalisierungsschub sowie die Möglichkeit von asynchronen Lehr- und Lernmethoden ist die Lehre zu einem gewissen Grad flexibler geworden, allerdings wird eine digitale Lehre nie zu 100 Prozent den face-to-face Unterricht ersetzen können.
Wie sieht Ihre Vision einer digitalisierten Arbeitswelt aus?
Ich denke da an agile und hocheffiziente Prozesse, an eine Vereinfachung des täglichen Arbeitsablaufs – Stichwort papierloses Büro. Die Möglichkeiten, sich zu vernetzen und miteinander online zu arbeiten, werden zunehmend einfacher. Es werden vermehrt hocheffiziente digitale Tools eingesetzt, um Kommunikation im Team, Aufgabenplanung und Filesharing zu erleichtern.
Ist für Sie der Unterschied „Frau-Mann in der Arbeitswelt“ noch relevant?
Leider gibt es noch immer einen gewissen Einkommens-Gap zwischen den Geschlechtern. Auf der anderen Seite sehen wir jedoch erfreulicherweise, dass es zunehmend mehr Frauen in technischen Studienfächern und Berufen gibt. Die FH JOANNEUM unterstützt diese Entwicklung beispielsweise im Rahmen des Programms AMS FiT – Frauen in Handwerk und Technik. Das ist sehr begrüßenswert und ich hoffe, dass der Trend weiter in diese richtige Richtung geht.
Und zum Schluss: Graz hat so viel zu bieten, was genießen Sie am meisten in Graz? Was gefällt Ihnen am besten am Leben und Arbeiten in unserer Stadt?
Abgesehen von der interessanten, diversen Arbeitswelt, die in und um Graz liegt: Graz ist „klein genug“ um sich nicht in der Großstadt verloren zu fühlen, aber „groß genug“ um nie das Gefühl zu haben, man hat alles gesehen oder gemacht, was die Stadt zu bieten hat. Sowohl das großartige Angebot an Kultur, Gastronomie und Freizeitmöglichkeiten als auch die Möglichkeit, in wenigen Autominuten in der Natur zu sein, machen Graz zu einer perfekten Heimatstadt. Zusätzlich bringt die relative Nähe zu Wien, aber auch zum Meer, zu Skigebieten, Bergen und Seen viele Ausflugs- und Erholungsmöglichkeiten mit sich.