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Wöchentlicher Börsenbrief #15

FH JOANNEUM, 06. Juli 2023
Wöchentlicher Börsenbrief von Josef Obergantschnig 1

(c) FH JOANNEUM / Marion Luttenberger

Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in die Woche aus erfrischend neuen Blickwinkeln.

Dauerfeuer und Highflyer

Mittlerweile bin ich – ob ich es nun wahrhaben will oder auch nicht – ein Dinosaurier in der Finanzbranche. In meinem Alter kann man sich glücklich schätzen, eine Espresso-Liebe entwickelt zu haben. Irgendwoher muss die Energie ja kommen.

Diese Woche hatte ich das Vergnügen, mit Top-Experten der DACH-Region im Rahmen meines CIO-Talks über ihre Positionierung und Markteinschätzung zu diskutieren. Meine wesentlichen Erkenntnisse möchte ich Ihnen natürlich nicht vorenthalten. Die Ausrichtung der Gesellschaften bleibt defensiv. Eine weitere wirtschaftliche Abkühlung scheint unumgänglich. Dieses Umfeld bietet aber auch Chancen. Der Zins ist zurück. Für viele jüngere Veranlagungsexperten ist das ein Novum. Seit 2008 sind die Notenbanken auf Dauerfeuermodus eingestellt.

Der erste Handelstag der deutschen Leitbörse DAX datiert am 1. Juli 1988. Der Index feiert damit seinen 35. Geburtstag. Investoren haben mit deutschen Aktien in Historie pro Jahr durchschnittlich 7,9% verdient. Der Jubilar kann damit sogar den MSCI World Index, der die größten Unternehmen der Welt repliziert, übertrumpfen. Das Weltportfolio hat im Vergleichszeitraum „nur“ 7,5% zugelegt. So weit, so gut! Wenn ein Investor/eine Investorin aber in den letzten 35 Jahren sein Geld in der amerikanischen Leitbörse S&P 500 veranlagt hätte, könnte er sich über eine Performance von 10,6% freuen. Der Unterschied beträgt „nur“ 3,1%. Kein Grund zur Panik, oder?

Wenn man das aber über den langen Zeitraum betrachtet, erkennt man unweigerlich die Kraft des Zinseszinses. Mit einem DAX-Investment haben Investor:innen in den letzten 35 Jahren schneidige 1.316% verdient. Das ist schon ganz ordentlich, meinen Sie nicht auch? Wenn Sie aber anstelle dessen ihr Geld in amerikanische Aktien investiert hätten, könnten Sie sich über eine Performance von 3.272% freuen. 3,1% pro Jahr Unterschied summieren sich durch den Zinseszins im Laufe der Zeit damit auf 1.956% Performanceunterschied auf. Unglaublich, nicht wahr!

Als einer der wesentlichen Gründe für die deutlich bessere Wertentwicklung der amerikanischen Aktien kann die Digitalisierung und die Dominanz von Technologieunternehmen ins Feld geführt werden. Irgendwie hat es den Anschein, als würde die USA für Innovation und technologischen Fortschritt und Europa für Tradition und eine gewisse Behäbigkeit stehen. Vor 15 Jahren haben DAX-Unternehmen noch 4,2% der globalen Marktkapitalisierung für sich vereinnahmt. Im Vergleich dazu sind es gegenwärtig „nur“ 2,25%. Spannend finde ich aber auch, den Ursachen der Performance auf den Grund zu gehen. Die großen Tech-Unternehmen geben den Takt vor. Apple konnte dieser Tage als erstes Unternehmen überhaupt die 3-Billion-US-Dollar-Grenze sprengen. Damit entspricht der Börsenwert des Tech-Giganten nahezu dem BIP von Großbritannien, der immerhin sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt. Und damit nicht genug. Ich möchte noch einen weiteren Vergleich ins Feld führen, um die unglaubliche Zahl von drei Billionen US-Dollar zu verdeutlichen. Der gesamte deutsche Aktienmarkt – und da gehen wir weit über die 30 DAX-Titel hinaus – repräsentiert eine Marktkapitalisierung von $1,3 Billionen. Der Börsenwert von Apple entspricht damit dem 2,3fachen Wert aller 225 deutschen Unternehmen, die an der Börse notieren. Ob das gerechtfertigt ist? Mal abwarten.

Haben Sie sich eigentlich auch schon einmal die Frage gestellt, ob die High-Flyer der Vergangenheit auch in Zukunft den Markt übertreffen können? Dahingehend bin ich bei meiner Morgenlektüre auf eine sehr interessante Studie gestoßen. In einer empirischen Analyse wird die Entwicklung der Top-10 Unternehmen in den USA analysiert. Und zwar 10 Jahre bevor sie in die Top-10 (Marktkapitalisierung) vorgestoßen sind und 10 Jahre danach. In der Analyse wird der Zeitraum von 1927 bis 2021 berücksichtigt. Die wesentlichen Erkenntnisse möchte ich Ihnen, liebe Leserin und und lieber Leser, natürlich nicht vorenthalten. Vor dem Erreichen der Top-Position nimmt die Outperformance im Zeitraffer zu. Auf 10-Jahressicht beträgt sie durchschnittlich 10,0%, auf 5-Jahressicht 19,3% und auf 3-Jahressicht 24,3%! Nachdem das Unternehmen in den Top-10 gelistet ist, nimmt der Trend aber deutlich ab. Die ersten drei Jahre kann noch eine durchschnittliche Outperformance von 0,7% erwirtschaftet werden, auf 5-Jahressicht oder 10-Jahressicht liegen die einstigen Highflyer mit -1,1% bzw. -1,5% hinter dem Gesamtmarkt.

Was können wir daraus lernen? Der High-Flyer von heute muss nicht zwingend der High-Flyer von morgen sein! Und genau das fällt Investor:innen oftmals schwer. Menschen neigen dazu, die Vergangenheit auch in die Zukunft zu projizieren.

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