In einem Vortrag sprach Reinhard Heinisch an der FH JOANNEUM über die Unterschiede des österreichischen und amerikanischen Wahlsystems.

Präsidentschaftswahlen: Was das US-amerikanische System vom österreichischen unterscheidet

Natanja C. Pascottini,

Der Vergleich zwischen dem österreichischen und dem US-amerikanischen Wahlkampf hinkt nicht nur, er geht gar nicht. Dafür gibt es zahlreiche Gründe, die am 14. März 2016 in einem Vortrag von Reinhard Heinisch an der FH JOANNEUM dargelegt wurden. Ein Versuch, die fünf wichtigsten zu erläutern.

Farbenlehre

Die Farben rot und blau haben in den USA eine ganz andere Bedeutung als in Österreich. Sie stehen für die zwei größten Parteien der USA: Rot ist die Farbe der Republican Party, kurz Republicans, der einst liberalen, heute konservativen Partei. Die „Blauen“ der USA sind die Democrats, die Democratic Party. Die älteste, noch bestehende Partei der Welt gilt als liberal(er) und fortschrittlich(er). In den USA kann man die Gesetzgebung besser beeinflussen, indem man sich Lobbies organisiert und nicht, indem man eine eigene Partei gründet.

Manpower

Der US-Wahlkampf ist grundsätzlich nicht Parteien-orientiert, sondern Kandidaten-orientiert: Die Parteien mischen nicht mit, bevor der Kandidat feststeht. Der ist bis zum Bundesparteitag auf sich allein gestellt. In Österreich wird ein Kandidat von der Partei unterstützt, aber sobald er Präsident ist, war's das mit der Parteinähe. In den USA bleibt ein Demokrat ein Demokrat und ein Republikaner ein Republikaner. Der Vergleich eines österreichischen Präsidenten und eines US-Präsidenten ist sowieso schwer zu ziehen: Die Aufgaben, Machtverhältnisse und Systeme unterscheiden sich zu sehr.

Wer von Beginn an zu seinem Kandidaten steht sind die Freiwilligen, die Volunteers. Tausende Menschen engagieren sich in den USA für ihren Kandidaten: einmal mehr, einmal weniger professionell. Sie erheben Daten, organisieren Veranstaltungen, mobilisieren weitere Anhänger. Sie gehen von Tür zu Tür (= Canvasing) und versuchen ihre Nachbarn und ihr Umfeld von ihrem Kandidaten zu überzeugen. Ohne diese Volunteers wäre der US-Wahlkampf ein ganz anderer, sie sind ein essenzieller Teil des Prozesses.

Wahltag(e)

Wir Österreicher gehen an einem Sonntag in unser Wahllokal, machen ein Kreuzerl und werfen einen Zettel in Wahlurne. Manche von uns wählen per Briefwahl. Danach haben wir einen neuen Präsidenten. Das läuft in den USA ein wenig anders.

Der erste Dienstag im November ist Wahltag in den USA – alle vier Jahre wird der Präsident gewählt, alle zwei Jahre der Kongress. Aber nicht nur das. Am „Election Day“ finden auch Wahlen für weitere wichtige Ämter statt: vom Sheriff über den Staatsanwalt bis hin zum Gouverneur.

Davor finden die Vorwahlen statt. Die sind nicht auf Bundesebene organisiert, sondern auf Bezirksebene von den Parteien. Durch die Verfassung werden zwar Rahmenbedingungen festgelegt, jedoch gibt es 50 Einzelwahlen mit regionalen Besonderheiten. In den Vorwahlen – Primary oder Caucus – wird über den Präsidentschaftskandidaten entschieden:

  • Primary: Auch diese Art der Vorwahlen ist noch einmal von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich: es gibt offene, halb-offene, halb-geschlossene, geschlossene und „nonpartisan blanket“ Primaries. Bei offenen Primaries dürfen alle Wahlbeteiligten mitabstimmen, eine Parteimitgliedschaft ist nicht notwendig. Die geschlossenen Primaries finden nur unter Parteimitgliedern statt.
  • Caucus: Ein Caucus ist eine Versammlung, bei der die Debatte in Zentrum steht. Egal ob im eigenen Wohnzimmer oder in großen Turnhallen: Durch Gespräche versucht man sich gegenseitig von einem Kandidaten zu überzeugen. Auch hier sind die Regeln, wie es letztendlich zu einer Entscheidung kommt, von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich.

Der Ausgang der Vorwahlen bestimmt für welchen Kandidaten die Delegierten beim Bundesparteitag im Sommer abstimmen, also über wen dann im Endeffekt am „Election Day“ abgestimmt werden kann. Am „Election Day“ selbst kann man für die einzelnen Kandidaten stimmen, aber auch nur für eine Partei und damit in allen Ämtern für den jeweiligen Kandidaten der Partei. Abgestimmt wird nicht nur „österreichisch“ mit Papier und Stift, sondern auch auf „Voting-Machines“. Auch die differieren: Viele sind mit einem Touchscreen ausgestattet, bei anderen wird ein Loch gestanzt, bei wieder anderen drückt man auf Knöpfe.

Revier

Der österreichische Wahlkampfsieg bringt dem Kandidaten die Präsidentschaft. Ein Wahlkampfsieg in den USA bringt noch etwas mehr: Die Partei, die in einem Bundesstaat gewonnen hat, darf die Wahlbezirke für die nächste Wahl abstecken – genannt „Redistricing“. Der Wahlbezirk kann dem politischen Bezirk entsprechen, kann aber auch eine komplett andere Gegend sein. Umgelegt auf Österreich würde das bedeuten, dass bei der heurigen Präsidentschaftswahl Graz in einem Wahlbezirk mit Linz sein könnte, in der nächsten aber dann wiederum mit Klagenfurt. Die Gewinner-Partei wählt die Wahlbezirke in den US-Bundesstaaten strategisch aus: Demographie und Statistiken spielen eine große Rolle, um herauszufinden, in welchen Teilen des Bundesstaates die Republicans beziehungsweise die Democrats stärker sind. Der Wahlkampf wird dann auf die Wahlbezirke abgestimmt.

Gewinner

Die gleichen Kampagnen in ganz Österreich – jede und jeder soll erreicht und mobilisiert werden: Durch das Verhältniswahlrecht werden bei uns die Ressourcen der Kandidaten breit verteilt. Anders in den USA. Hier herrscht das Mehrheitswahlrecht. Vorab weiß man, dass einige Staaten „rot“ sind, andere „blau“ und das sich dies mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit auch nicht ändert. Die Ressourcen werden dort investiert, wo man noch etwas ändern kann: in den Staaten, bei denen nicht klar ist, für welchen Kandidaten sie sich entscheiden werden, den „Battlegrounds“ beziehungsweise „Swing States“. Konkret: Während in einem Bundesstaat die Plakatwände voll sind mit Wahlwerbung, überall Wahlveranstaltungen stattfinden und der Kandidat durch die Gegend tourt passiert in anderen Bundesstaaten diesbezüglich wenig oder nichts.

Der zukünftige Präsident braucht 270 Stimmen von den sogenannten Wahlmännern. Jeder Staat verfügt über eine gewisse Anzahl dieser Wahlmänner, gemessen an der Bevölkerung. In den vielen Bundesstaaten wird nach dem Prinzip „the winner takes it all“ gewählt: Derjenige, der die Mehrheit erzielt, bekommt auch alle Wahlmänner des Bundesstaats. Jeder Kandidat hat Staaten, auf die er sich aufgrund seiner Partei „verlassen“ kann. Die Swing States entscheiden somit die Wahl: Wer dort gewinnt, gewinnt die Wahl.

Reinhard Heinisch ist Professor für vergleichende österreichische Politik und Leiter des Fachbereichs Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Salzburg. Nach einem Studium der Politikwissenschaft (MA/Virginia Tech University, PhD/Michigan State University) war Reinhard Heinisch 1994-2010 Professor für Politikwissenschaft an der University of Pittsburgh, USA. In Forschung und Lehre beschäftigt er sich mit der vergleichenden Regimelehre, besonders der Populismusforschung.

Aufgrund der übersetzten Terminologie sowie zur Unterstützung der Lesbarkeit und Verständlichkeit wurde in diesem Beitrag ausnahmsweise ausschließlich die maskuline Form verwendet, die dennoch für alle Geschlechter gilt.