Intro
Schweden – dabei denkt man an endlose Wälder, kleine rote Häuschen an tausend Seen, blonde Menschen, schöne Frauen und eine vorbildliche und fortschrittliche Zivilgesellschaft. Bevor ich dieses Land besuchte und für einige Monate dort lebte, hatte ich ein ähnliches Bild im Kopf. Wie so oft sollten sich manche Klischees bewahrheiten und auch an atemberaubenden Momenten fehlte es nicht. Doch auf dem zweiten Blick bemerkte ich einiges, das sich hinter dem „sauberen“ und korrekten Image verbirgt.
Wie alles begann
Ein Student aus Schweden absolvierte das vierte Semester an der FH JOANNEUM. Wir freundeten uns an und bald war mein Interesse geweckt, ein Semester an seiner Heimatuni zu studieren. Da das Umeå Institute of Design (UID) zu diesem Zeitpunkt noch keine nicht schwedischsprachigen Studierenden ins Bachelor-Programm aufnahm, war es einem Studienkollegen und mir zunächst gar nicht möglich, an einem Austausch teilzunehmen. Doch wir blieben hartnäckig und lösten nicht zuletzt durch den Einsatz unserer internationalen Koordinatorin und durch den Umstand, dass die FH schwedische Studierende akzeptiert, einen Umdenkprozess aufseiten des UID aus. So reisten wir im Jänner 2015 ab gegen Norden.
Die Stadt
Umeå hat in etwa die Größe von Klagenfurt und befindet sich in der nördlichen Hälfte des skandinavischen Königreichs: rund sechs Stunden Autofahrt nördlich von Stockholm und ungefähr 200 Kilometer südlich des Polarkreises an der Küste zur Ostsee gelegen. Die Stadt ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Sie gehört einerseits traditionell zu einer Region, die auch von den Sami bewohnt wird, dem letzten indigenen nomadischen Volk Europas. Andererseits ist es eine ungeheuer schnell wachsende Universitätsstadt.
Viele Studierenden schätzen die Abgeschiedenheit der Stadt, welche es begünstigt, sich auf das Studium zu konzentrieren. Die Winter können allerdings sehr dunkel, lang und kalt werden. Temperaturen um die minus 20 Grad Celsius sind keine Seltenheit und am kürzesten Tag scheint die Sonne nur um die Mittagszeit. Als Entschädigung dafür sind manchmal über der Stadt Nordlichter zu beobachten und im Sommer ist es fast durchgehend hell – beides geniale Erlebnisse.
Die Uni
Das Institute of Design der Umeå University befindet sich nicht am Hauptcampus, der quasi einen eigenen Stadtteil darstellt, sondern nahe am Stadtkern gelegenen Arts Campus. Das Institut hat weltweit einen hervorragenden Ruf und wird nicht selten als die beste Design-Ausbildungsstätte in Europa gehandelt. Die Zusammensetzung der Studierenden ist international und viele der Absolventinnen und Absolventen werden von namhaften amerikanischen Unternehmen abgeworben.
Das Institut unterscheidet sich nicht nur in Größe und Ausstattung vom „Industrial Design“-Institut in Graz, sondern auch hinsichtlich Arbeitsklima und Studienkultur. Dazu zählen etwa intensive Recherche-Exkursionen, wöchentliche Morning-Briefings der Studiengangsleitung an das versammelte Institut, jeden Mittwoch internationale Vortragende, von Studierenden organisierte Workshops und eine wöchentlich erscheinende UID-Zeitung. Den rund 150 Designstudierenden stehen in einem eigenen Gebäudekomplex mehrere Studios, Werkstätten und weitere Räumlichkeiten zur Verfügung. Bei den Ausbildungsinhalten und Projektthemen gibt es hingegen ungewöhnlich viele Parallelen zu unserem Studiengang. Und trotz der merklich geringeren Mittel hat sich auch „Industrial Design“ in Graz international einen Namen gemacht.
Wohnen
Die Unterkunft in Umeå organisierte das International Office. Es war eines der rund 600 für ausländische Studierende reservierten WG-Zimmer und lag im Stadtteil Ålidhem. Besonderen Luxus darf man sich nicht erwarten, aber angesichts der angespannten Wohnungsmarktsituation in der Stadt, haben wir diesen Service der Universität dankend angenommen. Die Wohnkosten sind in etwa durch das Erasmus-Stipendium abgedeckt. Überdies sind noch Ausgaben für Nahrungsmittel und sonstige Vergnügungen einzukalkulieren. Das allgemeine Preisniveau befindet sich ungefähr auf dem der Schweiz. Den Arts Campus erreicht man von Ålidhem in 20 Minuten zu Fuß oder in 10 Minuten mit dem Rad. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind jedoch teuer.
Studienalltag
Wir erhielten einen eigens für uns zusammengestellten Stundenplan und verbrachten unsere Ausbildung abwechselnd mit dem dritten, dem ersten und letztlich „unserem“ zweiten Jahrgang, da dieser in den Anfangsmonaten sein Praktikum absolvierte. Dadurch lernten wir viele unterschiedliche Studierende kennen. Es war allerdings der erste Versuch des UID, Austauschstudenten in das Bachelor-Programm einzubinden. Dies brachte mit sich, dass wir bei Weitem nicht so maßgeschneidert gefordert und ausgebildet wurden wie unsere Kolleginnen und Kollegen zur gleichen Zeit in Graz. Was wir allerdings stetig gegen einzigartige Erfahrungen im Ausland aufwiegen konnten.
Die von uns bearbeiteten Projekte umfassten die Konzeptionierung innovativer Check-In-Systeme und ein Interaction-Design-Projekt für die schwedische Flughafengesellschaft Swedavia. Darüber hinaus erhielten wir Unterricht in 3-D-Konstruktion, Sketching und Rapid-Prototyping. Insgesamt war die Ausbildung sehr abwechslungsreich. Besonders hervorzuheben ist, dass man sich eine Zeit lang intensiv nur mit einem Thema beschäftigt, bevor der nächste Kurs beginnt. Im Gegensatz zu Graz, wo sich viele Kurse parallel über einen längeren Zeitraum erstrecken und viele Baustellen gleichzeitig offen sind.
Menschen
Schweden seien kühl, so sagt man. Das kann ich bestätigen. Wer wie ich mit Kärntner Lockerheit und Schmäh das Eis zu brechen versucht, wird von den meisten Schweden in etwa so aufgefasst, wie in unseren Breiten ein Hände fuchtelnder, sizilianischer Strandverkäufer. Zurückhaltung ist angesagt und sprechen, wenn etwas zu sagen ist. Abgesehen von diesen allgemeinen Erfahrungen gibt es natürlich auch äußerst offene und herzliche Gemüter und überdies viele ausländische Mitstudierende, mit ihren jeweiligen Eigen- und Besonderheiten.
Durch die frühe Anglisierung der schwedischen Sprache, beispielsweise durch ausländische Film- und Fernsehproduktionen mit lediglich schwedischen Untertiteln, und die permanent spürbare Amerikanisierung der Gesellschaft, ist die Bereitschaft der Bevölkerung Englisch zu sprechen sehr hoch. Nach den Native Speaker sind die Schweden vermutlich die beste Englisch sprechende Nation weltweit. Ein Nachteil, wenn man Schwedisch lernen möchte.
Nachtleben
Alkohol ist teuer. Über 3,5-prozentige Getränke kann man nur bis Samstag am frühen Nachmittag im staatlichen Alkoholfachhandel kaufen. Rauchen ist in allen Innenräumen verboten, „Snus“ dafür legal und extrem verbreitet. Für die Studierenden sind das Vortrinken vor dem Ausgehen und private Partys zentrale Bestandteile des Wochenendes. In Klubs muss man mit langen Warteschlangen, teuren Eintritten und umgerechnet sieben Euro aufwärts für ein kleines Bier rechnen. Ausgelassene Stimmung stellt sich ab einem hohen Alkoholisierungsgrad der eher zaghaften Schweden um circa 24:30 Uhr ein. Gegen 01:45 wird man von der allgegenwärtigen „Ordningsvakt“ (=Ordnungswache) zum Holen der Jacke aufgefordert, da um zwei Uhr gesetzliche Sperrstunde ist.
Gesellschaft
Nach den goldenen Jahren des schwedischen Staates in den 1970ern ist das heutige Schweden von allen EU-Ländern vermutlich dasjenige, dessen gesellschaftliche Implosion am weitesten fortgeschritten ist. Zu erwähnen seien einerseits die regelmäßig brennenden Stadtteile Stockholms, andererseits die No-Go-Zonen in vielen Städten quer durchs Land, wo die Polizei die Kontrolle bereits den kriminellen und/oder fundamentalistisch-religiösen Gruppierungen überlassen hat.
Fazit
Das Auslandssemester war eine ungeheuer wichtige Erfahrung für mich. Schweden ist ein wunderschönes und auch freundliches Land, hat man erst einmal das Vertrauen der Einheimischen erlangt. Die Möglichkeit, sich praktisch ungestört in eine atemberaubende und schier endlose Naturlandschaft zurückziehen zu können, ist ein einzigartiges Erlebnis.
Das Umeå Institute of Design ist eine sehr professionelle Einrichtung und verdient ihre hohe Reputation. Dort zu studieren machte mir nicht nur Spaß, sondern machte mich auch ein bisschen stolz.
Als politisch interessierten Beobachter treibt es mir allerdings die Tränen in die Augen, wenn ich sehe wie dieses Land des Gender Mainstreaming und der Political Correctness mehr und mehr offen „faschistische“ Züge annimmt. Diese Tendenz hat es zwar mit anderen EU-Ländern gemeinsam, es scheint jedoch, als sei uns Schweden in dieser Hinsicht noch eine Nasenlänge voraus. Trotz alledem rate ich Interessierten, dieses Land selbst zu erleben, vorher allerdings eine romantisch-verklärende Sichtweise abzulegen.