REY übersetzt visuelle Information in Text oder Töne. So unterstützt der Sprachassistent beispielsweise Personen mit Seheinschränkungen, ihre Umwelt besser wahrzunehmen. Die Designerin Clara Fessler, Absolventin von „Industrial Design“ der FH JOANNEUM, berichtet, was es mit dem Projekt auf sich hat.
Die Umwelt anders wahrnehmen
FH JOANNEUM, 22. Januar 2019Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrer Masterarbeit gekommen?
Clara Fessler: „Die Idee, mich während meiner Masterarbeit mit Personen mit Sehbehinderung oder Seheinschränkungen zu befassen, ist mir schon früher in meiner Studienzeit gekommen. Durch meinen Vater, der am Odilieninstitut Graz unterrichtet, war ich mit einigen Themen vertraut und sah im Design eine Möglichkeit für eine sinnvolle Produktinnovation. REY ist ein tragbarer, freihändig bedienbarer Sprachassistent, der visuelle Informationen in Text, Ton oder Vibrationen übersetzen kann. Die Idee dazu war eine von vielen auf unzähligen Post-its. Bei einem gemeinsamen Treffen mit den Vertreterinnen und Vertretern der Zielgruppe wurde diese einstimmig zur gewinnenden Idee ausgewählt.“
Was ist das Besondere des Projekts REY?
Clara Fessler: „Die Besonderheit liegt in der engen Zusammenarbeit mit der Zielgruppe. Ich begann das Projekt mit Interviews mit Personen, die Seheinschränkungen haben, sowie mit Expertinnen und Experten. Außerdem habe ich durch Simulation von Augenkrankheiten oder den Besuch des „Dinner im Dunkeln“ versucht, Alltagssituationen für mich durchzuspielen. Ich bin mit einem blinden Freund auf die „Sight City“, eine Messe für Blindenhilfsmittel in Frankfurt, gefahren und habe allein durch Beobachtung sehr, sehr viel lernen können. Während des Projekts haben sich fast alle vorgefertigten Meinungen, die ich über die Zielgruppe hatte, verändert. Die konkrete Funktionsweise von REY ist in Zusammenarbeit mit diesen Personen entstanden. Die Menschen, die ich in der Researchphase zu Beginn des Projekts kennenlernen durfte, waren sehr interessiert an der weiteren Entwicklung und begleiteten mich durch das gesamte Projekt hindurch. Somit konnten wir gemeinsam Ideen evaluieren, austesten und bewerten.“
Was waren Ihre persönlichen Learnings der Masterarbeit?
Clara Fessler: „Vor allem habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich möglichst unvoreingenommen und ausführlich mit einer Zielgruppe zu befassen. Während des Projekts wurde mir bewusst, wie oft Menschen mit Sehbehinderung auf ihre Seheinschränkung reduziert werden und gleichzeitig ihre anderen Bedürfnisse zu kurz kommen, wie ein Zitat aus der Recherche sehr deutlich zeigte: ‚Ich bin nicht nur blind, ich bin ein Mensch wie jeder andere.’ Daher ist REY auch ein Produkt für jede Person, egal ob ohne oder mit Sehschwäche. Es ist so gestaltet, dass es von allen bestmöglich bedient werden kann.“
Clara Fessler entwickelte einen Sprachassistenten, der Personen mit Sehbehinderungen in ihrem Alltag unterstützt. (© Benjamin Loinger)
Was kann REY?
Clara Fessler: „Als Sprachassistent für unterwegs kann man mit REY durch dessen Verbindung zum Smartphone ganz einfach freihändig über Spracheingabe SMS schreiben, telefonieren oder nach Informationen googeln. Auch mit der Möglichkeit, freihändig Navigationsanleitungen zu bekommen, macht REY für alle Sinn. Mit Testpersonen aus der Zielgruppe der Schlechtsehenden konnte ich die Navigation dahingehend optimieren, dass Richtungsanweisungen mittels Vibrationssignal dargestellt werden. Das lenkt nicht nur weniger ab, sondern erhöht dadurch auch das Sicherheitslevel für jene, die sich mittels Umgebungsgeräuschen orientieren. Durch die integrierte Kamera kann REY auch kontextuell relevante visuelle Informationen in hörbare ‚übersetzen‘. Beispielsweise kann man REY nach Textinfos fragen und Schilder, Speisekarten in Restaurants oder sonstige Informationen vorgelesen bekommen. Andere Anwendungen betreffen etwa die Beschreibung von Objekten, Farben, Gesichtern, Umgebungen etc. Um Objekte nicht nur beschrieben zu bekommen, sondern auch selbständig auffinden zu können, kann REY einen 3D-Ton aus der Richtung des Objekts kommend erzeugen. Dies kann auch verwendet werden, um die Nutzerinnen und Nutzer vor Hindernissen zu warnen.“
Seit ihrem Abschluss ist viel passiert: Sie wurden mit dem James Dyson Design Award ausgezeichnet und haben Ihr Projekt bei der Global Grad Show in Dubai präsentiert. Wie haben Sie das alles erlebt?
Clara Fessler: „Ich habe mich über beide Anerkennungen unglaublich gefreut. Es ist eine tolle Bestätigung und auch eine großartige Möglichkeit, die Idee von REY zu verbreiten. Außerdem hatte ich dadurch die Möglichkeit, REY auf der Konferenz ‚Belief in AI: Designing tomorrow’s intelligence‘ vorzustellen. Beides habe ich genutzt, um Kontakte zu knüpfen und Personen kennenzulernen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Außerdem ist es sehr spannend, sich mit internationalen Designerinnen und Designern über ihre Projekte und ihre Hochschulen beziehungsweise Ausbildungen austauschen zu können.“
Gibt es einen Plan, wie es mit REY weitergehen soll?
Clara Fessler: „Nach Abschluss meiner Masterarbeit durfte ich das Konzept am Odilieninstitut vor Lehrenden und einigen Schulklassen vorstellen. Ich war sehr stolz, gutes Feedback aus der Zielgruppe von Personen mit Sehproblemen zu bekommen. Um die Interaktion mit REY weiter zu entwickeln (zum Beispiel die 3D-Ton-Lokalisierung), habe ich nach der Masterarbeit eine Virtual Reality – kurz: VR – Experience gestaltet. Dabei kann man im VR-Headset mit simulierten Augenkrankheiten Alltagsaufgaben absolvieren. Die Simulation ist vor allem auch für Sehende hilfreich, um Verständnis aufzubauen und sich in andere Personen hineinversetzen zu können. Das ist nämlich rückblickend einer der wichtigsten Erkenntnisse aus meiner Masterarbeit: Viele Probleme treten aus mangelndem Verständnis zwischen Sehenden und Nicht- beziehungsweise Schlechtsehenden auf.“
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