Digitale Kommunikation als Kernelement: Fünf Expertinnen und Experten sprechen über die Veränderung der Gesellschaft durch Digitales, zukünftige Trends und warum Kommunikation auch im Online-Raum einfach Kommunikation ist.
„Digitale Kommunikation ist DIE Ausprägung des digitalen Raums“
jeshoots.com on Unsplash FH JOANNEUM, 20. Oktober 2020Im Projekt Digi-T (Digital Literacies im Tourismus) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FH JOANNEUM und der Karl-Franzens-Universität Graz digitale Kompetenzen im steirischen Tourismus. Ein zentraler Aspekt dabei ist die digitale Kommunikation. Das Projektteam hat dazu fünf Expertinnen und Experten befragt: Doris Eichmeier, Kristina Halvorson, Ursula Maier-Rabler, Gerfried Stocker und Hannes Werthner.
Ursula Maier-Rabler beschreibt exemplarisch den Stellenwert der Digitalisierung und der digitalen Kommunikation: Sie durchdringt laut der Expertin alles und ist aus unserem gesellschaftlichen Leben nicht wegzudenken. „Digitale Kommunikation ist DIE Ausprägung des digitalen Raums, die mit Abstand die größte Präsenz hat“, sagt auch Gerfried Stocker. Aber was ist nun digitale Kommunikation? Der Begriff ist nur schwer zu umfassen und von nicht-digitaler Kommunikation zu unterscheiden. Doris Eichmeier beschreibt diese Schwierigkeit anhand eines Beispiels: Ein Buch ist eigentlich die Ausprägung des haptischen, nicht-digitalen Erlebnisses. Dahinter stecken heute allerdings digitale Prozesse, die das Buch erst ermöglichen.
Potenziale & Herausforderungen in der digitalen Kommunikation
Die großen Potenziale digitaler Kommunikation liegen laut den Expertinnen und Experten in
- Agilität
- Flexibilität
- Schnelligkeit
- Freier Zugang
Informationen können schnell ausgetauscht werden, Wissen ist frei verfügbar. Genauso ist jede und jeder permanent erreichbar und kann andere erreichen. Hannes Werthner nennt hier auch den Wert von Sozialen Medien, die neue Formen der Kommunikation ermöglichen, wie am Beispiel des Arabischen Frühlings deutlich wird. Doris Eichmeier sieht eine neue Art von Empathie, also ein Hineinfühlen in Menschen, die man per se nicht kennt, mit denen man sich aber online vernetzen kann. Ursula Maier-Rabler betont hier allerdings, dass Social Media nur ein Spielball im Internet sind – das freie Netz sei nach wie vor die Hauptinfrastruktur.
Diese Potenziale bringen nun gleichzeitig Herausforderungen mit sich. So kann laut Doris Eichmeier die Fluidität und Schnelligkeit auch überfordernd sein – wenn nichts mehr in Stein gemeißelt und alles zu hinterfragen ist, wie können wir uns dann noch wohl und geborgen fühlen? Ursula Maier-Rabler beschreibt die sogenannte „Fear of Missing Out“ also die Angst, etwas zu verpassen oder für das Umfeld nicht erreichbar zu sein.
Auch Social Media sind in diesem Zusammenhang kritisch zu betrachten. Doris Eichmeier spricht etwa vom „Weichspülen“ der Algorithmen, die Userinnen und User nur noch zeigen, was sie sehen wollen beziehungsweise von dem Algorithmen denken, dass sie es sehen sollen. Außerdem gäbe es im Sozialen Netz die Tendenz zu monologisieren, wodurch Diskussion und kritisches Hinterfragen eingeschränkt werden. Laut Hannes Werthner potenzieren sich etwa Fake News durch die Beschaffenheit von Social Media.
Gerfried Stocker sieht in diesem Punkt die Demokratie gefährdet: Die Verbindlichkeit von öffentlicher Meinung und Information geht verloren, wenn sich jede und jeder eine eigene Realität bauen kann. Gibt es keinen öffentlichen Konsens, keine Prozesse, die mehrheitsfähig sind, kommt die Demokratie in Schwierigkeiten. Hannes Werther spricht von Technologie-Politik und der Frage, inwieweit Regelungen für Plattformen geschaffen werden sollten.
Fokussiert man nun auf berufliche Kommunikation, so scheitern Unternehmen laut Kristina Halvorson oft daran, dass sie ihr Zielpublikum nicht kennen und Content als wichtiges Kommunikationsmittel unterschätzen: „Some companies have no idea how their audience searches for information online or what they did with that information once they found it.“
Digitale Bildung und die Kernkompetenz Kommunikation
Wie nun mit diesen Herausforderungen umgehen? Hier sind sich die Expertinnen und Experten einig: Allein Bildung kann helfen, sich nicht von der Digitalisierung überrennen zu lassen. Ursula Maier-Rabler spricht von über Skills und Literacies hinausgehendem holistischem Wissen in Bezug auf Kommunikation und Digitalisierung, um Probleme benennen, darauf aufbauend Ziele definieren und das Zielpublikum kennen lernen zu können.
Anschließend geht es um die Auswahl der richtigen digitalen Methoden. Das macht für Ursula Maier-Rabler eine „digitale Resilienz“ aus, also einen souveränen Umgang mit Digitalisierung. Gerfried Stocker spricht von einer gemeinsamen Vertrauensbasis und einem Grundkonsens darüber, welche digitalen Rechte und Pflichten für Kundinnen und Kunden sowie Unternehmen gelten. Hannes Werthner betont, dass algorithmische Herangehensweisen gelehrt werden sollen: „Man sollte kennenlernen, dass Algorithmen eine Menge von Trivialitäten sind, die nacheinander oder in bestimmter Sequenz ausgeführt und erst in der Summe komplex werden. Von dieser Komplexität sollte man sich nicht abschrecken lassen.“
Allerdings haben Kernkompetenzen, die für die digitale Kommunikation benötigt werden, laut den Expertinnen und Experten oft nicht so viel mit Digitalem zu tun:
Kristina Halvorson betont ebenfalls die Kommunikation und das Wissen um das Zielpublikum, fügt aber hinzu, dass es daneben auch um Strukturierung und Kategorisierung geht bzw. ein Wissen darum, wie die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Kundinnen und Kunden erreicht.
Konkret für den Tourismus fordern die Expertinnen und Experten:
- mehr Wahrhaftigkeit: weniger Stockfotos, mehr echte Erlebnisse
- Hervorheben der Besonderheiten: herausstreichen, was von der Masse unterscheidet
- digitale Kommunikation als Zusatz und nicht als Ersatz für den direkten Kontakt mit Kundinnen und Kunden
Ursula Maier-Rabler ergänzt eine Zusammenarbeit im Sinne der Netzwerkideologie: Die Angst vor der Konkurrenz müsse durch ein Mehr an Zusammenarbeit ersetzt werden, denn „die Digitalisierung ist ein Netzwerk und je mehr ich vernetze, desto optimaler kann ich Digitalisierung nutzen.“
In Hinblick auf Trends nennen die Expertinnen und Experten Schlagworte wie algorithmenbasierte Kommunikation, Chatbots, Micro-Targeting oder Voice-Search. Einen besonderen Fokus setzen Doris Eichmeier und Gerfried Stocker hier auf eine Entwicklung zurück zu mehr persönlicher Kommunikation: Direktes Zuhören und Verstehen des Gegenübers schafft eine Vertrauensbasis, die Maschinen so (noch) nicht leisten können.
Die Expertinnen und Experten:
Doris Eichmeier arbeitet als Content-Strategin und -Managerin. Nebenberuflich ist die diplomierte Medienberaterin als Lehrende im Masterstudiengang „Content Strategy“ an der FH JOANNEUM tätig.
Kristina Halvorson ist eine amerikanische Schriftstellerin, Unternehmerin und Expertin zum Thema Content-Strategie. Sie gründete die Content-Strategie-Consulting-Firma „Brain Traffic“, hält weltweit Vorträge über Content-Strategie und inspiriert so Zuhörerinnen und Zuhörer in verschiedenen Branchen.
Ursula Maier-Rabler ist Assistenzprofessorin und stellvertretende Leiterin der Abteilung „Center for ICT&S“ am Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg. In ihrer Lehre und Forschung beschäftigt sie sich mit dem Phänomen der Digitalisierung und deren Wechselbeziehung zu Demokratie und Bürgerbeteiligung, Zukunft der Arbeit, Bildung 4.0 und Alltagsleben.
Gerfried Stocker ist seit 1995 künstlerischer Leiter des Ars Electronica Center in Linz, Medienkünstler und Ingenieur der Nachrichtentechnik und Elektronik. Er berät zahlreiche Unternehmen und Institutionen in den Bereichen Kreativität und Innovationsmanagement, ist Gastredner auf internationalen Konferenzen und Universitäten.
Hannes Werthner war Professor an der Technischen Universität Wien und fungierte als Dekan an der Fakultät für Informatik. Seine Fachgebiete sind Wirtschaftsinformatik, E-Commerce, IOS, Informationssysteme, Semantisches Web, Webdienste, E-Tourismus und digitaler Humanismus.
Das Forschungsprojekt Digi-T wird gefördert vom Zukunftsfonds Steiermark, 12. Ausschreibung.