Am 28. Juni 2020 fanden in der Steiermark die Gemeinderatswahlen statt. Eine Wahl, die Corona-bedingt unterbrochen werden musste und die es so noch nie gegeben hat. Wahlforscher und Lehrender Heinz Wassermann erklärt die Besonderheiten dieser Wahl.
Im Fokus der Wahlforschung
Linda Schwarz, 03. Juli 2020Seit fünf Jahren, genauer gesagt im Zuge der Gemeindestrukturreform 2015, hat Heinz Wassermann empirische Wahlforschung am Institut Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM implementiert. Das Projekt ist einzigartig in Österreich und mittlerweile wurden die Gemeinderats- und Landtagswahlen 2015, die never ending story der Bundespräsidentschaftswahl 2016, die Nationalratswahlen 2017 und 2019 und die Steirischen Landtagswahlen 2019 untersucht. Projektziel ist es, Wahldaten auszuwerten und diese für eine mediale Öffentlichkeit bereitzustellen. Finanziert und unterstützt wird das aktuelle Projekt, das die Nationalratswahlen 2019, die Landtagswahlen 2019 und die aktuellen Gemeinderatswahlen untersucht, vom ORF Steiermark und der Kleinen Zeitung.
Bei dieser Steirischen Gemeinderatswahl war jedoch alles anders. Ursprünglich hätten die Wahlen am 22. März 2020 stattfinden sollen, haben sie auch – zum Teil. Denn die Wahlen wurden unterbrochen und erste Stimmen bereits durch die Briefwahl sowie den vorgezogenen Wahltag abgegeben. Dann aber kam die Corona-Pandemie dazwischen und die Gemeinderatswahlen wurden auf den 28. Juni 2020 verschoben. „Das hat es in Österreich noch nie gegeben, dass Wahlen unterbrochen wurden. In Vorarlberg zum Beispiel wurde die Wahl abgesagt und verschoben, nicht aber in der Steiermark“, erklärt Heinz Wassermann. Durch diese Unterbrechung und die Ereignisse rund um COVID-19 haben sich Besonderheiten aufgetan, die die Wahl beeinflusst haben könnten.
Wer geht wählen?
Ein Thema dominiert eindeutig bei diesen Wahlen: Corona. Wie sind Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in der Steiermark damit umgegangen? Wie hat sich die Pandemie auf die lokale Wirtschaft und Bevölkerung ausgewirkt und welche Maßnahmen wurden ergriffen? Diese Fragen werden für die Bevölkerung eine zentrale Rolle spielen.
Gleichzeitig ist dieses Thema auch für die Wahlbeteiligung sehr spannend: Personen ab dem 60. Lebensjahr weisen eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung auf. „Für diese Alterskohorte gehört wählen zur Tradition. Ob ältere Personen nun aufgrund der Pandemie sowie den Vorsichtsmaßnahmen trotzdem zur Wahlurne schreiten, ist fraglich“, sagt der Wahlforscher. Sollte der Fall eintreten, dass diese Altersgruppe, die bevorzugt ÖVP und SPÖ wählt, nicht wählen geht, so könnte das Einfluss auf das Gesamtergebnis haben.
Zudem wird in allen Gemeinden außer der Stadt Graz gewählt. „Spannend wird es, weil Graz eine gewisse Anomalie aufweist und beispielsweise noch die Landtagswahlen 2010 und 2015 „gedreht“ hat. Nun muss man schauen, wie sich das auf Gemeindeebene auswirkt“, erklärt Heinz Wassermann. Der Stadt-Land-Unterschied ist für die Wahlforscherinnen und Wahlforscher auch sehr interessant. Unter anderem um präzise und genaue Ergebnisse und Daten zu erhalten, arbeitet das Team rund um Heinz Wassermann mit der sogenannten Urban Rural Typografie. Bei diesem Modell der Statistik Austria werden zunächst rasterbasiert dicht besiedelte Gebiete abgegrenzt und dadurch urbane und regionale Zentren auf Gemeindeebene klassifiziert. Die Ergebnisse diese Typografie sind wesentlich differenzierter und ermöglichen eine konkrete Berechnung.
Apropos Berechnung! Für Heinz Wassermann und sein Team ist der Wahltag kein Zuckerschlecken: „Sobald die Wahllokale geschlossen sind, pflegen meine sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Daten in Excel-Tabellen und in das Statistikprogramm SPSS ein und um circa 20:00 Uhr soll das Gerüst der Interpretation stehen. Die Ergebnisse dieser Interpretation gehen dann exklusiv an die Auftraggeber ORF Steiermark und Kleinen Zeitung“, so Heinz Wassermann.
Wer kandidiert wo?
Eine besondere Herausforderung bei dieser Wahl war es, dass nicht alle Datensätze im Vorfeld angelegt werden konnten: Erstens, weil nicht alle Parteien in allen Gemeinden kandidieren und zweitens, weil es Parteien gibt, die erstmals in einem Ort kandidieren. Die Kandidaturenstärke spielt für die Interpretation somit auch eine wichtige Rolle. NEOS, die KPÖ und Die Grünen sind insbesondere in den urbanen Räumen sehr stark.
„Wir haben uns die NEOS angeschaut, die von ihren Gesamtkandidaturen der letzten Wahlen nur 20 Prozent in diese jetzige ‚gerettet‘ haben. Das heißt 80 Prozent der NEOS-Kandidaturen 2020 sind Neukandidaturen“, erklärt Heinz Wassermann. Gleichzeitig haben Die Grünen mit über 30 zusätzlichen Kandidaturen stark zugelegt und wachsen langsam aufs Land hinaus. „Spannend war vorab schon zu recherchieren, wo welche Parteien kandidieren und welche Potenziale sie haben. Insgesamt kandidieren die NEOS in 30 Gemeinden, die KPÖ in 37 und die Grünen in mittlerweile 102 Gemeinden. Im Vergleich dazu sind ÖVP, SPÖ und FPÖ deutlich stärker. Es gibt zum Beispiel eine Gemeinde, wo nur die ÖVP kandiert“, so der Politikexperte.
Wie die Wahl ausfällt und welche Faktoren sie beeinflusst haben, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Das Wahlforschungsprojekt von Heinz Wassermann geht mit der Steirischen Gemeinderatswahl zwar zu Ende, geplant ist aber eine Fortsetzung in den kommenden Jahren. Was da auf die Wahlforscherinnen und -forscher zukommt, weiß man noch nicht. Sicher ist aber: Es bleibt spannend.