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Science Story: Sprachverlust nach Schlaganfall

FH-Prof. Dipl.-Log Dr. Robert Darkow, 11. Juli 2024
Gleichstromstimulation in der Lehre

Robert Darkow ist FH-Professor und leitet das Institut und den Studiengang für Logopädie. Fachlich befasst er sich vor allem mit Sprach- und Schluckstörungen im Alter. In dieser Science Story wirft er einen Blick auf den Fachbereich der Logopädie, den Anwendungsfall Schlaganfall, die aktuelle Versorgungssituation und zukünftige Herausforderungen.

Logopädie… Was ist das, was kann das? Dass Logopädie Kindern hilft, Wörter richtig auszusprechen, ist meisthin bekannt. Wie weitreichend diese Investition ist, oftmals nicht. Lernen Kinder frühzeitig, gut und sicher mit der Sprache umzugehen, erhöht sich im weiteren Verlauf die Chance auf eine gute Bildung und damit auf ein höheres Lebenseinkommen. Viele Studien zeigen, dass damit der Solidargemeinschaft für jeden investierten Euro in Logopädie sechs bis sieben Euro zurückfließen. Andere Kernbereiche der Logopädie fokussieren statt einer vollständigen Heilung eher eine Minderung der Erkrankungsfolgen: Eine der häufigsten Behinderungen z.B. nach Schlaganfall ist ein teilweiser oder gänzlicher Verlust der Sprache, eine Aphasie. Davon sind in Österreich schätzungsweise 20.000 Menschen betroffen. Betroffene können nach wie vor denken und fühlen, nur fallen Ihnen die Wörter nicht ein. So wie wenn man im Ausland nur über rudimentäre Sprachkenntnisse verfügt. Dieser Sprachverlust hat dramatische Folgen: Die von Aphasie betroffenen fallen aus dem primären Arbeitsmarkt, soziale Deprivation bis hin zur Vereinsamung droht, zum Meistern der alltäglichen Aufgaben kann eine Betreuung notwendig werden.

Lage der Elektroden, Meinzer&Darkow et al. 2016

Therapie unter Strom

Logopädie kann auch hier helfen. Sprachtherapie verbessert die Sprache signifikant, die Verbesserungen sind aber kleinschrittig und hart erarbeitet. Deshalb werden Verfahren, die das Gehirn während der Rehabilitation unterstützen können, evaluiert, am Studiengang die sogenannte Gleichstromstimulation. Bei dieser wird ein schwacher Strom über von außen am Kopf angebrachte Elektroden appliziert. Oberflächenpositive Ströme können die unter den Elektroden liegenden Nervenzellen ihre Arbeit erleichtern. Dadurch kann die Sprache unmittelbar in der Therapiesitzung besser werden, bei wiederholter Anwendung sind die Effekte aber auch Monate später noch messbar. Diese sprachlichen Verbesserungen zeigen sich sowohl auf der trainierten Ebene, zum Beispiel der Wortfindung, aber auch im Alltag: Angehörige berichten, dass die Sprache der aphasischen Angehörigen sich gebessert hat. Unter funktioneller Bildgebung zeigte sich, dass nicht nur die Nervenzellen unter der Elektrode leichter arbeiten konnten, sondern alle sprachrelevanten Areale standen besser miteinander in Kontakt. Da die Gleichstromstimulation darüber hinaus kaum Nebenwirkungen zeigt und leicht handzuhaben ist, könnte sie gut in den therapeutisch-logopädischen Alltag integriert werden. Studien dazu laufen aktuell am Studiengang.

Logopädie muss niederschwelliger werden

So vielversprechend diese Unterstützung der Logopädie ist, einige nachteilige Umstände werden durch sie nicht abgeschwächt. Zum einen ist sie als Ergänzung der Logopädie auf ebendiese angewiesen. Und das ist ein Problem: Logopädie steht Menschen mit Aphasie, obwohl dringend notwendig, nicht ohne weiteres zur Verfügung: Es gibt zu wenig Kassensitze für Logopäd:innen, zu wenig Logopäd:innen sind auf Aphasie spezialisiert. Die systemischen Abläufe, wie beispielsweise ständig neue Verordnung für Logopädie bei Ärzt:innen besorgen zu müssen, stellen große Hindernisse für Menschen mit sprachlichen und oft auch motorischen Beeinträchtigungen dar. In unseren Studien versuchen wir diese Herausforderungen zu erheben und Lösungsansätze zu erarbeiten.

Zum anderen funktioniert unsere Gesellschaft über Sprache. Sprache ist DAS Werkzeug für eine gelingende Lebensführung, Grundlage des Selbstverständnisses, ist der Schlüssel zur Welt. Sprache ist Voraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Nicht sprechen zu können, ist in unserer Gesellschaft nicht vorgesehen. Damit birgt der Verlust der Sprache unmittelbar die Gefahr, nicht mehr Teil der Gesellschaft sein zu können. Bei Aphasien sehen wir diesen Prozess leider sehr deutlich: Im Unterschied zu vielen anderen Krankheitsbildern weiß die Gesellschaft über Aphasien nicht Bescheid, kann mit ihnen nicht umgehen und zieht sich zurück. Dabei ist der alltägliche Umgang mit AphasikerInnen nicht kompliziert, es braucht Geduld, echtes zwischenmenschliches Interesse und Empathie. Und es braucht eine Lobby: Aphasiker können, naturgemäß, nicht für ihre Wünsche, Bedarfe und Bedürfnisse, einstehen. Dies bedarf unserer Unterstützung.

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