Jürgen Fluch ist Dozent am Institut für Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement. In dieser Science Story beschäftigt er sich zwei großen Schlagwörtern im Energiebereich: Dekarbonisierung und die Transformation des Energiesystems. Was bedeutet das genau und warum sollen wir das eigentlich machen?
Science Story: Transformation des Energiesystems
Anna-Magdalena DruskoDas Warum kann man schnell beantworten. Der Umgang mit dem Klimawandel und dessen kurz-, mittel- und langfristige Auswirkungen erfordern ein rasches Handeln und sind in klaren Zielen definiert. Das bedeutet, dass wir fossile Energieträger durch erneuerbare Energietechnologien ersetzen und damit Treibhausgasemissionen wie CO2 und Methan vermeiden. Eigentlich müssten wir also von der Defossilisierung sprechen.
Wir alle benötigen viel Energie, etwa zu gleichen Teilen in den Bereichen Gebäude, Mobilität und industrielle Produktion. Viele Strategien sind in aller Munde: Gebäudesanierungen oder Elektro- und Wasserstoffmobilität. Und diese sind für die Industrie ebenso von großer Bedeutung, wird doch auch dort in Gebäuden produziert und gearbeitet und haben viele Betriebe einen großen Fuhrpark. Die meiste Energie in Betrieben wird aber für die Produktion benötigt. Will man das System optimieren, muss man es im Ganzen betrachten und nachhaltig verändern.
Jürgen Fluch ist Dozent in Kapfenberg.
Bäckerei-Beispiel
Schauen wir uns das an einem Beispiel aus der Lebensmittelindustrie an. Ein:e Bäcker:in produziert unterschiedliche Backwaren, die entweder in eigenen Filialen oder im Handel verkauft oder direkt an Kund:innen ausgeliefert werden. Diese sind entweder bereits essfertig oder aber tiefgefroren, um dann vor Ort fertig gebacken zu werden. Man kann die Energieversorgung in den thermischen und elektrischen Bedarf unterteilen. Thermisch bedeutet, dass etwas bei unterschiedlichen Temperaturen aufgeheizt, gekühlt oder gefroren wird. Das geht von -23°C bis knapp 300°C je nach Produkt und Heizung im Gebäude. Zusätzlich benötigt man Strom für Beleuchtung, den Betrieb von Maschinen, IT-Infrastruktur und E-Autos. Ganz grob kann man sagen, dass etwa 65-70% auf den thermischen Bedarf entfallen und der Rest Strombedarf ist.
Produktionsschritte in einer Bäckerei sind Mixen der Zutaten, Kneten, „Ruhenlassen“ (Gärung), Backen, Verpacken des Produktes sowie Reinigen. Dafür wird meistens Erdgas verbrannt, um Wasserdampf, heißes Thermoöl oder Wasser für die Prozesse „zu erzeugen“. Je nach Produktionsplan werden der Teigling und (halb-)fertige Backware bei unterschiedlichen Temperaturen gekühlt (-23°C bis +15°C), wofür zentrale Kälteanlagen und dezentrale Kühlkammern eingesetzt werden. Dafür wird zumeist Strom benötigt.
Die schlechte Nachricht: Will man dieses System dekarbonisieren, verändern wir ein funktionierendes System („Never change a winning team“). Das alte fossile System hat schon seine Vorteile. Wenige Anlagen können rund um die Uhr mit immer verfügbarem Erdgas und Strom betrieben werden. Erneuerbare Energieträger sind nicht immer verfügbar. Sind das also gute Argumente dagegen?
Die gute Nachrichte:Erneuerbare Technologien werden weltweit seit Jahren eingesetzt. Wärmebedarf bis 400°C abzudecken ist kein Problem und erneuerbaren Strom kennen wir in Österreich sehr gut. Am Beispiel der Bäckerei kann man das System der 100% fossilfreien Energieversorgung gut erklären.
Prozessoptimierung Backen
Backen ist ein Trocknungsprozess bei hohen Temperaturen. Außen bildet sich die Kruste, im Inneren quillt Stärke, Eiweiß gerinnt und Löcher (Poren) entstehen. Prozessparameter bestehender Backöfen werden angepasst (Temperatur, Dauer, Wasserdampfbedarf) oder neue Technologien eingesetzt. Das Ziel ist, den Energiebedarf zu reduzieren, ohne die Produktqualität zu beeinflussen.
Systemoptimierung Abwärme
Oft wird warme Luft aus Backöfen oder warmes Wasser aus Anlagen ungenutzt emittiert. Dabei eignen sich diese Energieströme ausgezeichnet, um über Wärmetauscher andere Medien vorzuwärmen. Die Abwärme von Kälteanlagen hat meistens eine Temperatur von 50 bis 70°C, also perfekt für Reinigungsprozesse. Wieder wird der Energiebedarf des ganzen Systems reduziert.
Integration erneuerbarer Energietechnologien
Der letzte Schritt ist die bestmögliche Integration erneuerbarer Energietechnologien in Abstimmung mit Produktionsplänen. Das 100%-fossilfreie Energiekonzept nutzt die Vorteile einzelner Technologien (z.B. Solarthermie, Photovoltaik, Wärmepumpen, Biomasse, Biogas), kombiniert sie in Speichersystemen und reduziert deren Nachteile.
Um das „beste“ Konzept aus den vielen Möglichkeiten zu identifizieren, muss man die einzelnen Technologien verstehen. Technische, ökologische und ökonomische Bewertungskriterien werden zusammengefasst und mit den Verfügbarkeiten erneuerbarer Energieträger in Systemsimulationen kombiniert. Was genau in der „Black Box“ Energieversorgung passiert, interessiert das Industrieunternehmen nur bedingt. Die Energie muss verfügbar sein, wenn sie in der Produktion benötigt wird. Und sie muss leistbar sein, lokal erzeugt werden und unabhängig von den Krisen der Welt.
Die Aufgabe der Forschung ist es, Methoden und Werkzeuge für die Auslegung und den Betrieb dieser Systeme zu entwickeln. Die Ergebnisse sollen praktisch angewandt werden können. Damit kommt das nachhaltig produzierte Brot nach Hause zu uns. Die Zukunft hat längst begonnen, an den Lösungen arbeiten wir gemeinsam und für alle die lernen wollen, wie das geht: Das Institut Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement bietet dafür ausgezeichnete Bachelor- und Masterstudiengänge!