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Warum Content-Strateginnen und -Strategen die Ärztinnen und Ärzte der Content-Welt sind

Rahel A. Bailie, 27. Februar 2018
Warum Content-Strateginnen und -Strategen die Ärztinnen und Ärzte der Content-Welt sind 1

Als Dozentin im Master-Studiengang „Content-Strategie / Content Strategy“ benutze ich häufig Metaphern, um die Konzepte und Ideen zu vermitteln, die in der Disziplin der Content-Strategie gelten. Eine Metapher, auf die ich immer und immer wieder zurückgreife, ist die der Ärztin beziehungsweise des Arzts. “Arzt” oder “Ärztin” ist ein zeitloser Beruf, ein Beruf, den wir als Kinder kennenlernen und anstreben. Wir alle haben Erfahrungen als Patientinnen oder Patienten gemacht und verstehen bestimmte Regeln, weil wir mit Ärztinnen und Ärzten zu tun hatten. Was sind also die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Ärztinnen, Ärzten und Inhaltsstrateginnen und Strategen und wo bricht die Metapher zusammen?

Wir wissen alle, was Ärztinnen und Ärzte tun

Warum suchen wir eine Ärztin oder einen Arzt auf? Im Allgemeinen gehen wir dorthin, wenn wir ein gesundheitliches Problem haben oder, wenn auch seltener, wenn wir Hilfe brauchen, um ein gesundheitsbezogenes Ziel zu erreichen. So oder so haben wir erkannt, dass unser Zustand professionelle Aufmerksamkeit erfordert. Wenn wir uns geschnitten haben, gehen wir vor allem dann zur Ärztin oder zum Arzt, wenn die Wunde genäht werden muss. Wir suchen Ärztinnen und Ärzte auf, wenn wir unter anhaltenden Kopfschmerzen leiden, wenn unser Gewicht plötzlich zu- oder abnimmt, wenn wir ein Kind erwarten oder wenn etwas in unserem Körper oder Verhalten aus dem Ruder läuft.

Wir gehen zu Ärztinnen und Ärzten, weil sie darauf vorbereitet sind, die Beschreibung unserer Symptome anzuhören, und weil sie dank ihres Fachwissen unseren Zustand schnell und genau beurteilen, eine Erkrankung diagnostizieren und uns eine angemessene Behandlung zukommenlassen können. Das kann vom Nähen einer Wunde über die laufende Überwachung bis hin zur Überweisung an eine Spezialistin oder einen Spezialisten gehen.

Wir erwarten nicht, dass unsere Hausärztinnen und – ärzte Spezialistinnen und Spezialisten für Neurochirurgie, Innere Medizin, Podologie, Psychiatrie, Kinderheilkunde, Gynäkologie oder Onkologie sind. Wir erwarten von ihnen, dass sie die erste Behandlung übernehmen und uns bei Bedarf weiterschicken. Aber für alle Ärztinnen und Ärzte gilt, dass sie die Grundlagen der Anatomie studieren, dass sie die gleichen Kurse durchlaufen und mit dem praktischen Wissen einer Allgemeinärztin oder eines Allgemeinarztes abschliessen, bevor sie sich auf ein bestimmtes Fachgebiet spezialisieren – oder sich als Hausärztinnen und -ärzte niederlassen.

Inhaltsstrateginnen und -strategen als Diagnostikerinnen und Diagnostiker

Warum suchen Unternehmen nach einer Content-Strategin oder einem Content-Strategen? Fast immer haben sie ein geschäftliches Problem oder, wenn auch, seltener ein nicht erreichtes Geschäftsziel, das die Aufmerksamkeit von Content-Expertinnen und -Experten erfordert. Organisationen werden eher eine Content-Strategin oder einen Content-Strategen hinzuziehen, wenn sie erkennen, dass ihre Situation sich nicht mit Bordmitteln beheben lässt – ähnlich wie ein Mensch, der merkt, dass eine Wunde genäht werden muss. Sie verlassen sich auf eine erfahrene Fachfrau oder einen erfahrenen Fachmann mit fundiertem Wissen über Inhalte um herauszufinden, welche Lösung es für ihr spezifisches Content-Problem gibt.

Diese inhaltlichen Probleme sind nicht immer leicht zu diagnostizieren. Ich sage manchmal, dass Leute, die nicht wissen, dass es Flugzeuge gibt, für eine Atlantiküberquerung ein Schiff empfehlen. Content-Strateginnen und -Strategen besitzen genug Geschick und Erfahrung, um zwischen den Zeilen zu lesen, um zwischen dem, was beschrieben wird, und dem zugrundeliegenden Problem zu unterscheiden. Sobald das Problem diagnostiziert ist, hat die Content-Strategin oder der Content-Stratege die Aufgabe, entweder Medikamente in Form einer Lösungs-Roadmap zu beschreiben, oder Spezialistinnen und Spezialisten einzubinden, die ihre Expertise einbringen können.

Wir erwarten nicht, dass Content-Strateginnen und -Strategen Spezialistinnen und Spezialisten für Marketinginhalte, Social Media Marketing, Content Marketing, Produktinhalte, Supportinhalte, Schulungsinhalte, technische Inhalte, juristische Inhalte etc. sind. Wir erwarten von ihnen, dass sie den Blick über den Tellerrand schweifen lassen und feststellen können, wo es ein Problem gibt, das sie beheben können, und wann sie eine Spezialistin oder einen Spezialisten hinzuziehen müssen. Aber – und hier hinkt der Vergleich mit den Ärztinnen und Ärzten noch – es gibt keinen gemeinsamen Nenner. Content-Strategie ist kein lizenzierter Beruf wie Ingenieurwesen, Buchhaltung oder Medizin. Es gibt keine gemeinsame Ausbildung und kein verbindliches Wissen. Praktikerinnen und Praktiker dieser Disziplin kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen und bringen eine Vielzahl von Fähigkeiten mit: Journalismus, Marketing, Werbetexten, Content-Management, Software-Entwicklung, technische Kommunikation, Business-Kommunikation, Social Media… die Liste geht weiter und weiter.

Die Messlatte höher legen

Fehlendes gemeinsames Wissen ist bei gesellschaftlichen Events Anlass spannender Gespräche, führt aber auch zu einer Folge von Konflikten. Wenn ich zu einer Ärztin oder einem Arzt gehe, kann ich sicher sein, dass sie oder er genug Wissen bewiesen hat, um ein medizinisches Examen zu bestehen. Aber wenn ich eine Content-Strategin oder einen -Strategen engagieren möchte, weiß ich nie, ob ich die richtige Person für den Job bekomme. Ich könnte das Äquivalent eines Dermatologen einstellen, um Arthritis zu behandeln. Dies macht es für die Kundinnen und Kunden schwieriger, die Strategin oder den Strategen mit den richtigen Fähigkeiten einzustellen, und erschwert es den Arbeitgebern, nach den richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu suchen. Umgekehrt macht es dieser Mangel an Gemeinsamkeiten Menschen, die keine Content-Strateginnen und -Strategen sind, leicht, die Bezeichnung für sich selbst zu kapern. Zum Beispiel haben Content-Marketer, ganz entsprechend dem Charakter ihres Berufes, die Vorstellung verbreitet, dass Content-Marketing-Strategie dasselbe ist wie Content-Strategie. Eine erfahrene Digitalagenturmanagerin in London hat ein paar Fragen entwickelt, die dazu gedacht sind, die “Betrügerinnen und Betrüger”, wie sie sie nennt, in der ersten Runde auszusortieren. Sie berichtet, dass sie bis zu 80 Bewerberinnen und Bewerber durchlaufen kann, bevor sie jemanden findet, von dem sie glaubt, dass er die richtigen Fähigkeiten hat.

Die FH JOANNEUM weist den Weg

Wie also schaffen Content-Strateginnen und -Strategen ein gemeinsames Wissen, das anderen Profis die Gewissheit gibt, dass sie ihrer Content-Strateginnen oder ihrem Content-Strategen vertrauen können, dass er sie beraten, ihre Situation diagnostizieren und die Medikamente verschreiben kann, die in einer schwierigen Business-Situation helfen – und dabei das gesamte Content Corpus berücksichtigt? In Ermangelung einer professionellen Institution wie der British Medical Association, eines Body of Knowledge wie des Project Management Body of Knowledge oder eines Zertifizierungsprogramms wie desjenigen für den Certified Management Consultant sind die Möglichkeiten beschränkt. Die FH JOANNEUM hat jedoch den ersten großen Schritt in diese Richtung gewagt. Der Master-Studiengang „Content-Strategie / Content Strategy“ an der FH JOANNEUM in Graz ist weltweit einzigartig. Andere Organisationen nehmen einen Kurs zur Content-Strategie in ihr Experience Design Programm auf oder führen Workshops durch, die sich auf die redaktionelle Seite der Inhalte konzentrieren. Es gibt einen weiteren Studiengang in den USA, der behauptet, Content-Strategie zu lehren, aber der Fokus dort liegt auf Social Media-Strategie. Obwohl die Content-Strategie in Nordamerika schon viel früher Fuß gefasst hat als in Europa, wird die FH JOANNEUM die erste Hochschule mit einem vollständigen Programm dieser Art sein.

Allgemeinmedizin oder Fachärztinnen und -ärzte?

Wenn wir auf die Metapher der Medizin zurückkommen, fangen Spezialistinnen und Spezialisten als Generalistinnen und Generalisten an und bilden sich in einer Vielzahl von Bereichen so weit aus, dass sie zu kompetenten Praktikerinnen und Praktikern werden. Sie können sich dann für eine Spezialausbildung entscheiden und im Krankenhaus praktische Erfahrungen sammeln. Ebenso werden die Studierenden des Master-Studiengangs „Content-Strategie / Content Strategy“ von Content-Strateginnen und -Strategen mit internationalem Renommee und einem breiten Spektrum an Fähigkeiten unterrichtet. Sie beginnen im Einführungskurs mit den Grundlagen und werden anschließend in einer Reihe von Lehrveranstaltungen weitergebildet, die viele Schwerpunkte der Content-Strategie widerspiegeln, vom Content-Marketing über die Markenentwicklung bis hin zur Content-Modellierung. Einige Content-Strateginnen und -Strategen werden Generalistinnen und Generalisten bleiben, andere werden sich auf bestimmte Bereiche konzentrieren und vielleicht Content-Strategien als Teil ihrer Arbeit anwenden. Die Spezialisierung kommt später, wenn die Studierenden ihr Wissen in die Praxis umsetzen, Erfahrungen sammeln und ihr Handwerk verfeinern. Die Projekte, die in den Master-Arbeiten der Absolventinnen und Absolventen dargestellt werden, spiegeln die Tiefe des Wissens wider, das diese Praktikerinnen und Praktiker in die Welt mitnehmen, in der sie sich selbst als Content-Strategiestrategie-Profis bezeichnen dürfen.

Rahel A. Bailie ist eine der Begründerinnen der Content-Strategie und Autorin eines der ersten Bücher zu dieser Disziplin. Sie lebt und arbeitet in London. Sie unterrichtet seit 2015 am Studiengang „Content-Strategie / Content Strategy“.

Photo: Steve Hutchings

Rahel Bailie mit Studierenden und Lehrenden des Master-Studiengangs in ihrem Appartment an der Themse.

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