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Warum fühlen wir uns oft wie Sisyphos im Lernprozess? 

FH-Prof. Mag. Dr. Birgit Phillips MSc, 02. Dezember 2024

Foto: FH JOANNEUM

Stell dir vor, du schiebst einen riesigen Stein den Berg hinauf, nur um ihn im nächsten Moment wieder hinunterrollen zu sehen. Ähnlich fühlt es sich an, wenn traditionelle Lernstrategien wie wiederholtes Lesen, Markieren und Auswendiglernen angewendet werden, aber der gewünschte Lernerfolg ausbleibt. Warum ist das so?

Ein Blick auf das Gedächtnis

Bevor wir uns den wenig wirksamen Lernstrategien widmen, ist es wichtig, das Gedächtnis zu verstehen. Unser Gedächtnis ist kein einfacher Speicher von Informationen, sondern ein komplexes System, das Informationen verarbeitet, organisiert und abruft. Es umfasst verschiedene Typen wie das sensorische Gedächtnis, das Arbeitsgedächtnis und das Langzeitgedächtnis, die alle im Lernprozess eine Rolle spielen. Das Arbeitsgedächtnis hilft uns, Informationen kurzfristig zu halten und zu bearbeiten, während das Langzeitgedächtnis für die langfristige Speicherung von Wissen zuständig ist.

Wenig wirksame Lernstrategien

  1. Wiederholtes Durchlesen: Viele Studierende verbringen Stunden damit, Texte immer wieder zu lesen, in der Hoffnung, dass die Information irgendwie “haften“ bleibt. Diese Methode fühlt sich zwar produktiv an, führt jedoch oft nur zu einer oberflächlichen Auseinandersetzung mit dem Stoff. Kritisches Denken und tieferes Verständnis bleiben dabei auf der Strecke. Stellt euch vor, ihr wollt fit werden, indem ihr lediglich Fitnessvideos anschaut – ohne selbst aktiv zu werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Lernen: Aktive Auseinandersetzung ist der Schlüssel.
  2. Markieren und Hervorheben: Das farbige Hervorheben von Textstellen kann zwar helfen, wichtige Punkte visuell hervorzuheben, doch ohne eine tiefgehende Beschäftigung mit dem Material bleibt der Lerneffekt gering. Forschungen zeigen, dass diese Methode oft dazu führt, dass Lernende sich zu stark auf die hervorgehobenen Passagen konzentrieren und dabei den größeren Kontext sowie die Verbindungen zwischen den Konzepten aus den Augen verlieren.
  3. Auswendiglernen: Viele Studierende verlassen sich auf Auswendiglernen, besonders wenn es um Fakten oder Formeln geht. Das Problem dabei ist die “Illusion des Wissens”: Man glaubt, das Material zu beherrschen, weil man es zwar genau wiedergeben kann, aber ohne ein Verständnis für den Kontext oder die Anwendung fehlt die Fähigkeit, dieses Wissen kritisch zu reflektieren oder in neuen Situationen anzuwenden. Es ist, als würde man ein Theaterstück Wort für Wort lernen, ohne die Handlung zu verstehen. Es übersieht die essenzielle Verarbeitung von Informationen im Arbeitsgedächtnis und deren Integration ins Langzeitgedächtnis.
  4. Cramming: Die Praxis des “Cramming”, also des intensiven, marathonartigen Lernens kurz vor der Prüfung, scheint zwar effektiv für den Moment, birgt jedoch ein großes Manko: Es fördert nicht das langfristige Behalten des Gelernten. Der Grund? Informationen, die durch Cramming aufgenommen werden, bleiben lediglich im Arbeitsgedächtnis und schaffen oft nicht den entscheidenden Sprung ins Langzeitgedächtnis. Für eine dauerhafte Speicherung und das Knüpfen robuster, neuronaler Verbindungen im Gehirn sind Zeit und wiederholte Beschäftigung mit dem Stoff nötig. Nachhaltiges Lernen erfordert kontinuierliche Wiederholung und aktive Auseinandersetzung mit dem Lernmaterial.

Warum sind diese Strategien nicht effektiv?

Der Hauptgrund liegt darin, dass sie nicht die tieferen Ebenen der Informationsverarbeitung ansprechen, die für dauerhaftes Lernen und Verständnis notwendig sind. Sie fördern eine passive Haltung zum Lernstoff, bei der die aktive Auseinandersetzung, die kritische Reflexion und die Anwendung des Gelernten in neuen Kontexten zu kurz kommen.

Fazit

Um den Sisyphos-Zyklus im Lernprozess zu überwinden, ist es entscheidend, Lernstrategien zu wählen, die auf soliden wissenschaftlichen Beweisen basieren und aktives Lernen fördern. Methoden, die das aktive Abrufen und die Anwendung von Wissen erfordern, wie Praxisprüfungen und über längere Zeitspannen verteiltes Üben, haben sich als effektiver erwiesen. Diese Strategien unterstützen eine tiefe Verarbeitung und kritische Reflexion, was nicht nur hilft, den Stein den Berg hinaufzubringen, sondern auch dort zu halten. Indem wir uns von ineffektiven Strategien lösen und evidenzbasierte Methoden annehmen, können wir den Lernprozess nachhaltig verbessern und echte Fortschritte erzielen. In den nächsten Blogposts erfährst du, wie du deine Lernprozesse optimieren und dein Wissen auf die nächste Stufe heben kannst.

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