Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in die Woche aus erfrischend neuen Blickwinkeln.
Wöchentlicher Börsenbrief #17
Dr. Josef Obergantschnig, 21. Juli 2023Achterbahnfahrt, Pleiten und der Pizza-Margherita Index
Unseren Sommerurlaub haben wir am Gardasee verbracht. Wie es sich für einen Börsianer gehört, stand mit meinen beiden Kindern auch ein Besuch im Gardaland auf dem Programm. Wie es sich für Teenager gehört, führte uns der Weg zuerst einmal in den Adrenalinpark. Die Achterbahnen, die einem Mann im fortgeschrittenen Alter durchaus vor Herausforderungen stellen können, gleichen dem Aktienmarkt. Zuerst geht es langsam, aber beständig nach oben. Das Rattern hat beinahe einen meditativen Charakter. Oben angekommen hat man einen wunderbaren Überblick. Kurz vor dem „freien Fall“ bleibt die Achterbahn nochmals stehen. Mein Blick schweift nach unten und das Unbehagen steigt. Die Bahn verharrt hier einige Sekunden im völligen Stillstand. Und dann werden die Bremsen gelöst und es geht mit atemberaubender Geschwindigkeit dem Abgrund entgegen. Ich ahne bereits Schreckliches. Aber wie durch ein Wunder hebt die Bahn zu neuen Höhenflügen an, bevor es wieder rasant nach unten geht. Auch Aktieninvestor:innen haben die letzten Jahre eine wilde Achterbahnfahrt erlebt. Mal geht es rauf, mal geht es runter. Und das meist im Vollspeed. Die erfolgreichsten Investor:innen schaffen es, während der Achterbahnfahrt nicht völlig entnervt auszusteigen. Sie ziehen ihre Strategie konsequent durch. Je größer die Achterbahn, desto größer der Adrenalinkick. Und als Börsianer:in „bezahlst“ du die höhere Ertragserwartung vermutlich mit der einen oder anderen schlaflosen Nacht.
An den Kapitalmärkten scheint die Sonne. Wie sollte es dieser Tage auch anders sein? Tokio vermeldet einen 150jährigen Hitzerekord. In Rom werden die heißesten Temperaturen aller Zeiten gemessen. Der Klimawandel stellt eine große Herausforderung dar. 2022 betrug laut Berechnungen der Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft der Schaden globaler Naturkatastrophen $270 Milliarden. 55% und damit mehr als die Hälfte davon war nicht versichert. Ich fürchte, an diese Zahlen werden wir uns wohl gewöhnen müssen.
Ob die Kapitalmärkte überhitzt sind, wage ich natürlich nicht zu prognostizieren. Das eine oder andere Unternehmen scheint aber mittlerweile bereits in eine Schieflage geraten zu sein. Die Zahl der in „Probleme geratenen“ Anleihen ist seit 2021 um mehr als das 3,5fache gestiegen. In den USA gab es heuer schon 120 große Pleiten zu vermelden. Das Volumen der „distressed“ Anleihen beläuft sich global auf nahezu $600 Milliarden. Von diesem sind weniger als 15% wirklich pleite. Das bedeutet, dass Anleihenemissionen im Ausmaß von mehr als einer halben Billion US-Dollar nicht vereinbarungsgemäß getilgt werden könnten.
Für Schuldner wird es zunehmend schwieriger, frisches Kapital aufzustellen. Die Renditen sind seit Monaten deutlich gestiegen und erhöhen die Zinsausgaben. Ausgenommen davon sind natürlich Finanzierungen mit einer Fixzins-Vereinbarung. Das betrifft sowohl Privatpersonen, Unternehmen aber auch Staaten. Mehr als 46 Länder der Welt müssen bereits heute mehr als 10% der Staatseinnahmen ausgeben, um die Zinsen bedienen zu können. Die Wahrscheinlichkeit, dass die amerikanische Notenbank die Zinsen nächste Woche erneut anhebt, wird von Investor:innen auf nahezu 100% eingeschätzt. In diesem Umfeld kann ich mir schwer vorstellen, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde nicht nachzieht. Die Lage auf der Inflationsfront scheint für die Notenbanker noch nicht geklärt.
Die Unternehmen haben spätestens seit der Lancierung von Chat-GPT den Fokus auf KI gelegt. Apple arbeitet mit Hochdruck an einem Konkurrenzprodukt. Konzernlenker Tim Cook will die künstliche Intelligenz aber „mit Bedacht“ einsetzen. Das Unternehmen notiert nahe dem Allzeit-Hoch und hat bei der Marktkapitalisierung vor kurzem als erstes Unternehmen überhaupt die 3-Billionen-US-Dollar Schwelle durchbrochen. Ähnliches gilt auch für Microsoft. Der Tech-Gigant ist nach Apple das zweitteuerste Unternehmen der Welt und wird an der Börse mit 2,7 Billionen US-Dollar bewertet. Nach der Ankündigung, dass künftig das KI-Tool $30 pro Monat kosten solle. Und das wiederum ist je nach Kunde und Paket eine Preiserhöhung von 53% bis 83%. Das ist ja einmal eine Ansage. Bisher wurde der Konzern vor allem mit dem Gründer Bill Gates in Verbindung gebracht. Unter dem aktuellen CEO Satya Nadella, der Steve Ballmer 2014 als Vorstandsvorsitzender abgelöst hat, ist der Börsenkurs um unglaubliche 1.000% gestiegen. Damit wird er sich wohl auch einen Platz in der Microsoft-Ahnen-Galerie neben dem lieben Bill gesichert haben. Googles Antwort auf den Microsoft-Suchmaschinen-Angriff lautet Bard! Laut einer Analyse von JP Morgan Chase ist die KI-Revolution für mehr als die Hälfte der Kursgewinne der amerikanischen Leitbörse S&P 500 verantwortlich.
Apropos Inflation: Während unseres Italienurlaubs haben wir natürlich auch Pizza gegessen. Der Preis einer Pizza Margherita ist seit 2019 um rund 7% angestiegen. Die vom Pizza-Koch benötigten Ingredienzien sind im gleichen Zeitraum deutlich mehr gestiegen. Der Pizza-Margherita-Ingredienzien-Basket stieg im Referenzzeitraum um 14% und damit doppelt so viel wie der Pizza-Preis. Das wird wohl nur mehr eine Frage der Zeit sein, bis die Restaurantbesitzer die Preissteigerung an den Konsument:innen weitergeben werden. Abschließend noch eine Empfehlung eines Italien-Liebhabers: Es geht nichts über den einen oder anderen Espresso in einem belebten Café!