Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in die Woche aus erfrischend neuen Blickwinkeln.
Wöchentlicher Börsenbrief #20
Dr. Josef Obergantschnig, 11. September 2023Herkules und ein Maß Bier
Mit September werden die Temperaturen etwas kälter und die Festzelte immer voller. Zumindest dann, wenn Sie auf den Münchner Wiesen ein Maß Bier stemmen. Es ist die Zeit der Oktoberfeste. Das weltweit größte Volksfest der Welt findet seit 1810 Jahr für Jahr auf der Theresienwiese statt. Für ein Maß Bier muss man tief in die Tasche greifen und € 14,90 auf den Schanktisch legen. Da bleibe ich – zumindest noch in dieser frühen Morgenstund – doch lieber bei meinem Espresso. In den Wiesenwochen werden mehr als fünf Millionen Liter Bier getrunken. Der Bierpreis sorgt in einer schönen Regelmäßigkeit für einen medialen Aufschrei, da auch ein Bierfass keinen Inflationsschutz bieten kann.
Um Preise gut miteinander vergleichen zu können, braucht man ein geeignetes Produkt. In den Festzelten darf nur ein eigens gebrautes Wiesn-Bier von lediglich sechs Münchner Brauereien ausgeschenkt werden. Die Braumeister haben darüber hinaus drei spezielle Vorgaben zwingend einzuhalten. Die Rohstoffe müssen dem Münchner Reinheitsgebot von 1487 entsprechen, die Stammwürze muss zumindest 13,6% betragen und darüber hinaus muss das Wasser aus einem Tiefbrunnen aus dem Münchner Stadtgebiet stammen. Soweit, so gut – das Wiesn-Bier ist damit definitiv auch im historischen Kontext als Indikator zur Preisentwicklung geeignet. Insofern wagen wir einmal einen Blick in die Vergangenheit. Um die Jahrtausendwende hat ein Maß auch 12,30 gekostet. Damals waren es aber D-Mark und nicht Euro. Die 10-Euro-Schallmauer wurde 2014 geknackt. Die
letzten 20 Jahre hat sich der Bier-Preis auf der Wiesn verdoppelt. Allerdings mit steigender Dynamik. Im Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie kostete das Maß noch €11,50 – wir reden also von einer Preissteigerung von knappen 30% in lediglich vier Jahren.
2019 war übrigens auch das Jahr, in dem Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank angelobt wurde. Die Inflation bleibt also auch dieser Tage das bestimmende Thema. Und zwar nicht nur in München, sondern auch in den Katakomben der Europäischen Zentralbank. Die EZB hat bereits kräftig an der Zinsschraube gedreht und den Leitzins für den Euroraum in atemberaubender Geschwindigkeit nach oben gezogen. Kommt nächste Woche die Zinserhöhung Nummer 10? Ich weiß es nicht, es würde mich aber definitiv nicht überraschen.
Die Inflationsbekämpfungsmaßnahmen haben aber auch Nebenwirkungen und eine wirtschaftliche Bremsspur hinterlassen. Der Konjunkturmotor stottert gewaltig. Wenn Christine Lagarde den Bogen mit Zinserhöhungen überspannt, droht eine Rezession. Ich bin schon gespannt, ob ihr US-amerikanisches Pendant Fed-Präsident Jerome Powell in der September-Sitzung bereits das Ende des Zinserhöhungszyklus einleitet. Das wäre ein Signal, da die amerikanische Notenbank rund drei Monate vor der EZB mit Zinserhöhungen begonnen hat.
Werfen wir noch einen Blick auf die Kapitalmärkte. Das dritte Quartal neigt sich dem Ende zu und die Stimmung unter den Investoren ist zum Teil sehr angespannt. Wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass das vierte Quartal in einer beachtlichen Regelmäßigkeit den Aktionär:innen ein Lächeln auf die Lippen zaubert. In den letzten 30 Jahren ist beispielsweise der STOXX 600 in den letzten drei Monaten eines Jahres um durchschnittlich 4,6% gestiegen. Die Bewertung europäischer Titel ist im Vergleich zu ihren amerikanischen Pendants sehr günstig. Dieses Phänomen ist zwar nichts Neues, da es bereits seit vielen Jahren besteht. Es ist aber auch festzuhalten, dass der Bewertungsabschlag für europäische Unternehmen auch in der langfristigen Betrachtung als ausgesprochen hoch bezeichnet werden kann.
Abschließend möchte ich noch den Finanzexperten André Kostolany, der die Börsenwelt mit vielen verständlichen und griffigen Zitaten versorgt hat, ins Feld führen. In Bezug auf die Inflation hat er eine klare Meinung: „Die Inflation ist die Hölle für Gläubiger und das Paradies der Schuldner.“ Kostolanys Vater war ein reicher Industrieller, der sein Geld mit einem Magenbitter mit dem klingenden Namen Herkules verdient hat. Die liebe Christine hätte wohl nichts dagegen, wenn ihr Herkules beim Kampf gegen den Inflationsdämon beisteht. Und nur um eines klarzustellen. Damit meine ich natürlich den starken Sohn vom griechischen Göttervater Zeus und nicht Kostolanys Magenbitter.