Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in die Woche aus erfrischend neuen Blickwinkeln.
Wöchentlicher Börsenbrief #21
Dr. Josef Obergantschnig, 19. September 2023And she did it again …
Nach den Sommermonaten werden die Büros und Klassenzimmer wieder voller. Die Dynamik nimmt spürbar zu. Diese Dynamik schlägt sich aber nicht auf das Haushaltsbudget nieder. In den USA beträgt das durchschnittliche Haushaltseinkommen $74.580 brutto. Das reale Einkommen – also Lohnzuwachs abzüglich der Inflation – ist im Vorjahr das dritte Mal in Folge gesunken. Seit den 1960ern gab es lediglich vier vergleichbare Phasen. In Zeiten stetig steigender Lebenshaltungskosten ist das mit Sicherheit für die Beteiligten kein einfaches Unterfangen. Das hat sich auch schon auf den Immobilienmarkt ausgewirkt. In den USA ist der durchschnittliche Verkaufspreis für Häuser in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen. In den letzten Jahrzehnten wurden nur 1970 und 2008 ähnlich große Preisrückgänge verzeichnet. Und beide Male endete es in einer Rezession.
Im durchschnittlichen US-Haushaltseinkommen sind nicht nur die klassischen Gehaltszahlungen, sondern auch Sozialzahlungen, Arbeitslosengeld, sonstige öffentliche Zuwendungen und wie es sich für ein kapitalmarktorientiertes Land gehört auch Zinsen und Dividendenzahlungen inkludiert. Nachdem in diesem Haushaltseinkommen auch keinen Steuern berücksichtigt werden, hinkt ein Vergleich mit dem durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen in Österreich, welches aktuell bei €40.309 liegt. Sollten Sie in einem Haushalt leben, der auf ein Netto-Einkommen von mehr als €60.923 pro Jahr zurückgreifen kann, gehören Sie zu den Top-25%. Auf der gegenüberliegenden Seite gehören Haushalte, die mit weniger als €24.958 ihr Auslangen finden müssen, zu den 25% mit dem geringsten Einkommen. Ich bin schon gespannt auf die Gehaltsverhandlungen im Herbst. Eines scheint aber klar zu sein. Die Nominallöhne dürften 2024 in Österreich und vielen anderen Ländern deutlich ansteigen.
Laut Einschätzung der jüngsten ZEW-Umfrage unter Finanzexpert:innen bleiben Löhne der Inflationstreiber Nummer eins. Als bremsender Faktor kann der stotternde Wirtschaftsmotor ins Feld geführt werden. Laut Einschätzung des Wirtschaftsforschungsinstitutes WIFO hat sich die regionale Konjunktur in Österreich deutlich abgekühlt. Vor allem die Industrie und der Bausektor müssen deutliche Einbußen hinnehmen. Das schlägt sich auch auf den Arbeitsmarkt nieder. Erstmals seit 2021 ist die Arbeitslosenrate in zwei Bundesländern – Steiermark und Salzburg – wieder angestiegen.
Über 80% der Befragten gehen davon aus, dass sich die Lage auf der Inflationsfront in den nächsten sechs Monaten doch deutlich entspannen sollte. In den USA wurden diese Woche die Inflationszahlen für August veröffentlicht. Die Verbraucherpreise sind um 3,7% wieder etwas angezogen, liegen aber immer noch deutlich unter dem Höchststand des Vorjahres. Auch wenn man mit Spannung nun auf die nächste Fed-Sitzung kommende Woche blicken kann, denke ich nicht, dass uns Jerome Powell eine weitere Zinserhöhung präsentieren wird.
Diese Woche hatte bereits Christine Lagarde ihren großen Auftritt. In der EZB-Sitzung am Donnerstag wurden die Leitzinsen zum bereits zehnten Mal seit Juni 2022 um 0,25% auf 4,5% angehoben. Die Geldwertstabilität steht im Vordergrund. Auch wenn das mit Sicherheit den Konjunkturmotor weiter ins Stottern bringt.
Diese Woche hat sich auch der Vorstandschef von JPMorgan Chase zu Wort gemeldet. Jamie Dimon sieht die US-Wirtschaft gegenwärtig auf einem guten Kurs, warnt aber davor, diese Entwicklung noch über Jahre fortzuschreiben. Besonders besorgt zeigt er sich über den Krieg in der Ukraine und die aktuelle Notenbankpolitik und das Finanzverhalten vieler Länder rund um den Globus, welches er mit dem „Ausgabeverhalten betrunkener Seeleute“ vergleicht. Laut Einschätzung von Jamie Dimon sind festverzinsliche Anleihen trotz des Zinsanstieges nicht attraktiv.
Eines scheint aber klar. Cash wird in Zeiten hoher Inflation zum Luxusobjekt. Die Österreicher:innen sind nach wie vor Bargeld-Kaiser. Im Vorjahr hat jeder Österreicher im Schnitt 247mal elektronisch bezahlt. Im Vergleich zu Norwegen hat man hierzulande noch einiges Potenzial. In Norwegen wird pro Kopf und Nase jährlich 708mal die Bankomatkarte, die Kreditkarte oder das Smartphone am Kassenterminal gezückt. Das ist nahezu zweimal täglich. Ich bin bekennender Bargeldliebhaber, der ab und an auch auf eine bargeldlose Variante zurückgreift. Insofern werde ich meinen Espresso beim Italiener meines Vertrauens auch in Zukunft mit ein paar Münzen bezahlen.