Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.
Wöchentlicher Börsenbrief #23
Dr. Josef Obergantschnig, 02. Oktober 2023Jahresendrallye, drückende Zinslast und der Kaffeesud
In den letzten Septembertagen war die Stimmung an manchen Tagen ziemlich getrübt. Das ist nichts ungewöhnliches, schließlich ist der September ein historisch betrachtet schlechter Börsenmonat. Ein Ereignis wie 2001 mit 9/11 oder 2008 mit der Lehman-Pleite ist uns immerhin erspart geblieben. Bevor mich diese düsteren Gedanken in ein Stimmungstief ziehen, bin ich froh, dass mir der frischgebraute Espresso neue Lebensenergie einhaucht. Vielleicht verleiht der Quartalswechsel den Aktienmärkten einen neuen Energieschub? Hier lohnt sich ein Blick auf die historische Saisonalität. Im 4. Quartal konnten die großen Aktienindizes in den letzten Jahrzehnten deutlich bessere Ergebnisse erzielen als in den anderen Quartalen. Warum wir in den letzten Wochen und Monaten eines Jahres häufig eine Jahresendrallye erleben, kann ich nicht beantworten.
Zinsseitig geht es weiter nach oben. In den USA sind die Renditen für 2jährige Staatsanleihen auf den höchsten Stand seit 2006 gestiegen, jene der 5- und 10jährigen auf den höchsten Stand seit 2007 und jene der 30jährigen Anleihen auf den höchsten Stand seit 2011. Der 30jährige Zinssatz ist von 0,8% im März 2020 auf aktuell 4,7% gestiegen. Für Investor:innen bedeuten steigende Zinsen Schmerzen. Ganz besonders, wenn die Schuldner ihre Schuld erst in Jahren oder Jahrzehnten begleichen müssen. Der US-Staatsanleihen-ETF mit der längsten Zinsbindung hat seit März 2020 mehr als 60% an Wert eingebüßt. Spannend finde ich auch die Positionierungsunterschiede einzelner Investorengruppen im Bereich der Staatsanleihen. Während die Hedge-Fonds nach wie vor hohe Short-Positionen halten und damit auf weiter steigende Zinsen setzen, haben klassische Asset-Manager ihre Long-Positionen auf ein Rekordniveau ausgebaut und sich damit genau gegenteilig positioniert. Wer wird das Match nun gewinnen? Ich weiß es nicht! Aber eines ist klar. Der Markt hat am Ende des Tages immer recht und es wird unabhängig der weiteren Entwicklung einen Gewinner und einen Verlierer geben. Ein Verlierer war in den letzten Monaten auch die amerikanische Notenbank, die selbst ein Wertpapierportfolio im Ausmaß von $7,5 Billionen aufgebaut hat. Die Verluste haben mittlerweile die 100-Milliarden-US-Dollar-Grenze überschritten und dazu geführt, dass die Fed erstmals seit 13 Jahren Mitarbeiter abbaut.
Steigende Zinsen werden sich auch langfristig auf die Staatsfinanzen der USA auswirken. Schließlich laufen heuer noch Staatsanleihen in der Höhe von $5 Billionen aus. Und diese müssen refinanziert werden. In Anbetracht der deutlich höheren Zinsen aber auch zu einem deutlich höheren Niveau. Vielleicht sollte sich US-Finanzministerin einmal bei ihren Bürgern erkundigen. Der 30-Jahres-Fixzins für Immobilienkredite ist über 7% gestiegen und hat damit das höchste Niveau seit mehr als 30 Jahren erreicht. Zum Vergleich dazu lag die Rate Anfang 2022 noch bei 3%. Auch für all jene, die in den letzten Jahren ihre Kreditkarten Schulden in die Höhe geschraubt haben, leiden unter dem Zinsanstieg. Laut der amerikanischen Notenbank liegt der durchschnittliche Zinssatz für Kreditkartenschulden gegenwärtig bei unglaublichen 21%. Konsumschulden sind generell teuer. Selbst in der absoluten Niedrigzinsphase lag der durchschnittliche Zins bei weit über 10%.
Kommen wir noch zu einem erfreulichen Thema. Laut Forbes haben es 70% der Milliardäre aus eigener Kraft geschafft. Darüber hinaus entstammen 157 der Top-400 Liste aus dem Mittelstand. Insofern besteht Hoffnung, meinen Sie nicht auch? Auch wenn der Weg für mich persönlich noch sehr, sehr weit ist, möchte ich dennoch festhalten, dass 14% dieser selektiven Liste dem Finanz- und Investmentbereich zuzuordnen sind. Dieser Sektor ist damit überraschenderweise am häufigsten vertreten und kann sogar den Technologiebereich übertreffen. Das ist sehr interessant, da in den Top-10, abgesehen von Bernard Arnault (LVMH) und dem Investor Warren Buffet, nur Vertreter aus der Tech-Branche anzutreffen sind. Abgesehen von Bernard Arnault sind zudem alles Self-Made-Milliardäre, die es zum Teil bereits in ihren Zwanzigern zur ersten Million gebracht haben. Dazu gehören klingende Namen wie Microsofts Bill Gates, Googles Larry Page und Sergey Brin oder auch Facebooks Mark Zuckerberg. Den längsten Atem hat Larry Ellison bewiesen, der zu seinem 40er nach neunjähriger Aufbauarbeit sich erstmals Millionär nennen durfte. Ob ich meinen Kindern nun eine kaufmännische oder doch lieber eine technische Ausbildung empfehlen sollte, kann ich aber leider im Kaffeesud meiner Espressotasse nicht klar und deutlich erkennen.