Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.
Wöchentlicher Börsenbrief #48
FH JOANNEUM, 02. April 2024Marshmallow, Aktien und der teure Whisky
Weltweit gibt es rund 40.000 Aktien und etwa 800.000 Investmentprodukte. Das ist wahrlich enorm. Die Suche nach dem „optimalen“ Investmentprodukt gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen oder einem gut versteckten Osternest. Der Biss in den Schokohasen hat schon so manchem nach der „kräftezehrenden“ Fastenzeit ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Der Lohn folgt unmittelbar nach dem Fund. Das erinnert mich an meinen morgendlichen Espresso. Meine geliebte Kaffeemaschine muss ich zwar nicht suchen, aber sobald die „richtigen“ und sorgfältig ausgewählten Kaffeebohnen gemahlen ist, steht dem Genuss nichts mehr im Wege. Im Gegensatz dazu müssen Investoren nach der Auswahl des (vermeintlich) „richtigen“ Investmentproduktes normalerweise eine ganze Weile warten, um die Früchte ihrer Investitionen ernten zu können. Die empfohlene Behaltedauer eines Aktieninvestments liegt immerhin bei zehn Jahren.
Wie uns das berühmte Marshmallow-Projekt gezeigt hat, fällt es Menschen oft schwer, lange auf einen Gewinn zu warten. In diesem Experiment wurden Kinder vor die Wahl gestellt: ein Marshmallow sofort oder zwei, wenn sie 15 Minuten warten. Die Kinder, die widerstehen konnten, hatten später im Leben oft mehr Erfolg. Dieser Drang nach sofortiger Belohnung spiegelt sich auch in der Finanzwelt wider. Anleger:innen jagen oft nach schnellen Gewinnen, statt auf langfristige, nachhaltige Ergebnisse zu setzen. Das Warten auf den zweiten Marshmallow im Investmentkontext, sprich das Durchhalten und strategische Planen, kann letztendlich zu einer süßeren Rendite führen.
Aber wer wartet schon gerne? Für viele Menschen gilt schließlich das Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Dieses Sprichwort trifft allerdings für einen Investorentyp nicht zu. An der Börse tummeln sich Spekulant:innen, die das Ziel verfolgen, möglichst rasch einen möglichst hohen Gewinn zu erwirtschaften. Zu dieser Zunft gehören für mich auch Day-Trader, die innerhalb eines Tages Unmengen an Transaktionen ausführen und der festen Überzeugung sind, durch Aktivität den Gesamtertrag zu erhöhen. Haben Sie sich aber schon einmal gefragt, wie groß die Erfolgsaussichten eines Day-Traders sind? Bevor wir uns mit dieser Frage näher auseinandersetzen, möchte ich Ihnen noch die Gewinnchancen bei einem Casino-Besuch offenlegen. Eine Analyse eines Internet-Anbieters hat die (unverfälschten) Ergebnisse von Internetspielern im Zeitraum 2005-2008 für Blackjack, Roulette und Slotmaschinen ermittelt. Das Ergebnis hat mich überrascht. In 30% der Spieltage konnten die Glücksritter Gewinne einfahren. Über einen mehrjährigen Zeitraum schaffen es „nur“ 11% der Gambler, mit einem Gewinn zu bilanzieren. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Millionenbetrag. Die meisten der Gewinner:innen haben weniger als 150 US-Dollar verdient.
Kommen wir nochmals zu den Daytradern. Hier liegt die Wahrscheinlichkeit laut einer Studie aus dem Jahr 2013 bei lediglich 1%. Also schafft es nur einer von 100 Day-Tradern langfristig, mit einem Gewinn auszusteigen. Wie heißt es an der Börse so schön: Hin und her macht Taschen leer!
In meiner persönlichen Investorenkarriere habe ich mich vom kurzfristigen Spekulanten in den späten 1990ern zu einem langfristig orientierten Investor entwickelt. Auf 10-Jahressicht konnten Aktien eine beeindruckende Performance aufweisen. Der breite S&P 500 liegt mit über 150% im Plus. Auch andere Luxusgüter wie teure Weine (+146%), Uhren (+138%) oder Kunstgegenstände (+105%) konnten ihren Wert ordentlich steigern. Der Top-Performer unter den Luxusgütern ist aber ein ausgewählter Whisky mit +280%. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Für mich ist aber klar: Ich bleibe meinen Aktien und meinem Espresso treu. Ein erfolgreiches Whisky-Investment kann im Falle einer ausufernden Party oder eines geselligen Männerabends auch ganz schnell zu einem Totalverlust werden.