Im wöchentlichen Börsenbrief von Josef Obergantschnig, Fachhochschullektor an der FH JOANNEUM und Gründer von ecobono, gibt es das Börsengeschehen pünktlich zum Start in das Wochenende aus erfrischend neuen Blickwinkeln.
Wöchentlicher Börsenbrief #54
FH JOANNEUM, 13. Mai 2024Von Maria Theresia zu Tech-Giganten und Local Heroes
Diese Woche war es so weit. Nahezu unbemerkt hat ein Index ein neues All-Time-High erreicht. Nein, liebe Leserin und lieberr Leser, ich spreche nicht von einem Tech-Index oder einem asiatischen Index, sondern vom österreichischen ATX TR. Das ist für mich Grund genug, mich heute bei meinem morgendlichen Espresso einmal etwas näher mit dem heimischen Kapitalmarkt auseinanderzusetzen. Die Wiener Börse wurde 1771 von Maria Theresia gegründet und blickt damit auf eine mehr als 250-jährige Geschichte zurück. Der Gründungsgedanke war damals aber alles andere als uneigennützig. Die Erzherzogin von Österreich und Königin von Böhmen und Ungarn aus dem Hause Habsburg führte die Börse als „Zwangsbörse zur staatlichen Kapitalaufbringung“ ein, um das chronisch angespannte Staatsbudget etwas zu entlasten. In den Anfangsjahren wurden ausschließlich Aktien, Wechsel und Devisen gehandelt.
Im Jahr 1811 war Österreich bankrott. 1816 wurde die österreichische Nationalbank gegründet, die ein Emissionsmonopol erhielt und dadurch für eine Beruhigung im österreichischen Geldwesen sorgte. Zwei Jahre später, 1818, war die Österreichische Nationalbank die erste Aktiengesellschaft, die an der Wiener Börse notierte. Und auch einer der ersten Investoren ist selbst mehr als zwei Jahrhunderte danach kein Unbekannter. Der deutsche Komponist Ludwig van Beethoven, der trotz seiner Taubheit als einer der bedeutendsten Komponisten aller Zeiten gilt, war auch in Finanzangelegenheiten fortschrittlich und erwarb Aktien der Nationalbank. Am 8. April 1868 ging der österreichische Baukonzern PORR AG an die Börse und ist damit das älteste, durchgehend an der Wiener Börse notierte Unternehmen. Das ist aber lediglich um eine Woche länger als das 1819 gegründete österreichische Vorzeigeunternehmen Wienerberger. 1991 hat die Wiener Börse den ATX zum ersten Mal publiziert. Der bis dato größte Börsengang der österreichischen Börsengeschichte war 2017 die BAWAG Group mit einem Emissionsvolumen von 1,93 Milliarden Euro. Heute notieren 865 Aktien und 16.562 Anleihen an der Wiener Börse. Darüber hinaus können Optionsscheine, Zertifikate oder auch ETFs gehandelt werden. Die Marktkapitalisierung lag am Jahresende 2023 bei 125,6 Milliarden Euro. Der deutsche Ludwig von Beethoven war einer der ersten Investoren. Und heute kann sich neben den Investor:innen auch der Deutsche Christoph Boschan, der bereits seit 2016 Vorstandsvorsitzender ist, über das neue All-Time-High freuen.
Die internationalen Aktienmärkte notieren nach wie vor am oder nahe den Höchstständen. Die Performance der Tech-Giganten und vieler anderer großen Unternehmen (Large-Caps) war in den letzten Jahren deutlich besser als die der „kleineren“ Unternehmen (Small-Caps). Dabei handelt es sich bei Small-Caps um Unternehmen, die teilweise mit weit mehr als einer Milliarde Euro bewertet werden. Die höhere Wertentwicklung ist unter anderem auf die außergewöhnlich guten Gewinnmargen zurückzuführen. Während Large-Caps eine operative Gewinnmarge (EBIT/Umsatz) von 13,4 % aufweisen, liegt diese bei den Small-Caps nur bei 5,2 %. Grundsätzlich gilt: Je größer die Unternehmen, desto höher ist die Gewinnmarge! Auffallend ist, dass die Margen in diesen turbulenten Zeiten gerade bei den Small-Caps deutlich zurückgegangen sind, während sich die Margen der Mid-Caps und Large-Caps auf hohem Niveau halten konnten. Ob die Rallye und die Outperformance der Large-Caps weiterhin anhalten wird, wage ich nicht zu prognostizieren. Es ist jedoch auffallend, dass es in den letzten Monaten zu einem Trendwechsel gekommen ist und andere Marktsegmente den Blue-Chips durchaus Paroli bieten konnten. Auch wenn die ATX-Aktien relativ betrachtet nicht ganz vorne liegen, sind an unserer Heimatbörse doch viele spannende Unternehmen gelistet. Für all jene, die sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben, kann ich einen Blick auf den Kurszettel nur empfehlen. Es würde mich keinesfalls überraschen, wenn der liebe Christoph noch das eine oder andere weitere All-Time-High feiert.