Neue Höhen, alte Muster und der Glanz des Goldes
Diese Woche gab es reichlich Grund zur Freude für Anleger. Der amerikanische Dow-Jones-Index hat ein neues Allzeithoch erreicht, und auch der deutsche DAX eilt von einem Rekord zum nächsten. Die magische Marke von 20.000 Punkten rückt in greifbare Nähe. In den letzten zehn Jahren konnten sich die Investoren über eine Verdoppelung ihres Kapitals freuen. Das ist zweifelsohne schön, aber auch deutlich geringer als die Performance von US-Aktien, die sich im selben Zeitraum nach den jüngsten Kursanstiegen nahezu verdreifacht haben. Rückblickend drängt sich für mich der Vergleich zwischen einem schwachen Filterkaffee und einem starken Espresso beim Italiener meines Vertrauens auf.
Kennen Sie die „Rule-of-72“, oder die 72er-Regel? Diese einfache Faustregel hilft abzuschätzen, wie lange es dauert, bis sich der nominelle Wert einer Investition verdoppelt. Man teilt die Zahl 72 durch die durchschnittliche jährliche Rendite, und erhält die Anzahl der Jahre, die für eine Verdoppelung nötig sind. In unserem DAX-Beispiel wären das 7,2 %. Das bedeutet, dass jeder Investor zehn Jahre lang durchschnittlich 7,2 % Rendite erzielen müsste, um aus einer Investition von 100 Euro 200 Euro zu machen. Eine Verdoppelung entspricht jedoch 100 %, und zehn Jahre mit 7,2 % Rendite ergeben lediglich 72 %. Der Weg von 72 % auf 100 % ist der berühmte Zinseszinseffekt – ein Phänomen, das viele von uns nur schwer begreifen. Selbst Albert Einstein war davon beeindruckt: „Der Zinseszinseffekt ist das achte Weltwunder. Wer ihn versteht, verdient daran; alle anderen bezahlen ihn.“ Diese Weisheit trifft all jene, die ihr Geld in den letzten zehn Jahren zinslos „dahindümpeln“ ließen.
Wie lässt sich der große Performance-Unterschied zwischen DAX und S&P 500 erklären? Für mich liegt es vorwiegend an der Branchenzusammensetzung der jeweiligen Indizes, aber auch am Mindset in den jeweiligen Ländern. Im amerikanischen Leitindex S&P 500 dominieren Technologieunternehmen, während in Europa, neben dem Finanzsektor, eine große Bedeutung den traditionellen Industrien zukommt. Europäische Unternehmen scheinen oft zu zögern, wenn es um zukunftsweisende Themen geht. Diese abwartende Haltung könnte sich in einer schnelllebigen Welt als Bumerang erweisen.
Im Oktober befinden wir uns traditionell in der sogenannten „Earnings-Season“. Innerhalb weniger Wochen legen viele Unternehmen ihre Quartalsergebnisse vor und gewähren den Aktionären damit einen tiefen Einblick in ihr Geschäftsgebaren. In den USA ist die Stimmung positiv: Bisher haben 70 % der Unternehmen die Erwartungen übertroffen, während 26 % enttäuscht haben und 4 % ein neutrales Ergebnis veröffentlichten. In Europa sieht es anders aus: 50 % der bisherigen Quartalsergebnisse lagen hinter den Erwartungen, wohingegen 40 % besser ausfielen als prognostiziert. Diese Zahlen sind jedoch nur ein Zwischenstand – die Berichtssaison hat erst begonnen und es bleibt abzuwarten, wie sich das Bild in den kommenden Wochen entwickelt.
Neben den Aktienmärkten glänzt jedoch auch ein Edelmetall: Gold erreicht derzeit ungeahnte Höhen. Einer der ausschlaggebenden Gründe dafür sind die fallenden Zinsen. Da Gold keinen klassischen Ertrag wie Zinsen oder Dividenden abwirft, sinken bei niedrigeren Zinsen die sogenannten Opportunitätskosten – also die Kosten, die eine Investorin bzw. ein Investor durch eine alternative Anlageform erwirtschaften könnte. Zudem hält Gold den Mythos des „krisensicheren“ Investments aufrecht. In Zeiten geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheiten sorgt das für eine anhaltend hohe Nachfrage.
Ob Gold oder die Aktienkurse in naher oder ferner Zukunft stärker glänzen werden, wage ich nicht zu prognostizieren. Eines ist jedoch sicher: Der Italiener meines Vertrauens wird mir gleich noch einen wunderbaren Espresso servieren.